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Die Visualisierung des Wunderbaren

Tagung organisiert vom SFB-Teilprojekt B02 „Das Wunderbare als Konfiguration des Wissens in der Literatur des Mittelalters“ in Kooperation mit der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußische Kulturbesitz, 12.–13.06.2023

22.02.2024

Die Visualisierung des Wunderbaren

Die Visualisierung des Wunderbaren

Bericht: Laura Ginzel und Alina Karsten

Vom 12. bis 13. Juni 2023 veranstaltete das Teilprojekt B02 unter der Leitung von Prof. Dr. Jutta Eming in Kooperation mit Dr. Carolin Schreiber, Leiterin der Abteilung für Handschriften und historische Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin, die internationale und interdisziplinäre Tagung ‚Die Visualisierung des Wunderbaren‘.

Die Tagung fand am 12. Juni im Fontane-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin – Unter den Linden und am 13. Juni in der Villa des Sonderforschungsbereichs 980 „Episteme in Bewegung“ statt.

Die zentralen Fragestellungen der Tagungsbeiträge gehen auf den Forschungsansatz des SFB 980 und zentrale Thesen des Teilprojekts B02 zurück, wonach das Wunderbare gleichermaßen als ästhetische als auch als epistemische Konfiguration betrachtet wird, die auf eine Provokation von Verwunderung zielt und auch Formen des (religiösen) Wunders miteinbezieht. Die Beiträge aus verschiedenen Forschungsdisziplinen konnten zeigen, dass die Darstellung und die Verfügbarkeit des Wunderbaren häufig an ein Wissen darüber geknüpft ist. Die Visualisierungen des Wunderbaren wurden dabei aus interdisziplinärer Perspektive betrachtet.

Die Beiträge nahmen insbesondere Exponate der Berliner Staatsbibliothek in den Blick. In Zusammenarbeit mit Dr. Carolin Schreiber und ihrem Team konnte eine Auswahl der Handschriften und frühen Drucke am ersten Konferenztag in den Räumlichkeiten der Berliner Staatsbibliothek auf Büchertischen zur Ansicht bereitgestellt werden. Es wurden u. a. Handschriftenillustrationen, bebilderte Drucke, Weltkarten, illustrierte Reisebeschreibungen, Chroniken, Wunderzeichenbücher und Flugblätter gezeigt.

Im ersten Panel befasste sich Beatrice Trînca (Humboldt-Universität zu Berlin) mit der breiten Überlieferungslage von Darstellungen des Papageis in Texten der Vormoderne und ihre stark imaginative Symbolkraft über ihre eigene Existenz hinaus: ‚Dieses unwahrscheinliche Tier…‘ – Der Papagei in Literatur und Wissen des Hoch- und Spätmittelalters.

Die Vorträge des zweiten Panels fokussierten religiöse Kontexte: Andreas Kraß (Humboldt-Universität zu Berlin) ermöglichte einen Einblick in ein illustriertes deutschsprachiges Gebetbuch (mgo 489) mit einem Bilderzyklus von 24 farbigen Miniaturen der Passionsgeschichte und konnte zeigen, dass der Illustrator das Wunderbare durch den Einsatz von ‚Glanz, Gold und Grenzüberschreitung‘ akzentuiert und so eine Verbindung zwischen Text und Bild herstellt: Aus dem Rahmen fallen. Zur Visualisierung des Wunderbaren in einem illustrierten Gebetbuch des späten 14. Jahrhunderts. CJ Jones (University of Notre Dame, Indiana) visualisierte an Auszügen liturgischen Vorgehens in einer Ostersequenz observanter Dominikanerinnenklöster die eindrückliche Überschneidung visueller und auditiver Aspekte, die auf das religiöse Wunder der Passion Christi hindeuten und dieses multiplizieren: ‚so hebt er dz corporal vf‘: Visualisierte Auferstehung durch die Sequenz ‚Victimae paschali laudes‘ in observanten Dominikanerinnenklöstern.

Der daran anschließende Vortrag griff kunsthistorische Zugänge zur Visualisierung des Wunderbaren auf. So zeigte Wolf-Dietrich Löhr (Ruhr-Universität Bochum),wie die Wechselwirkung materieller und technischer Aspekte im Herstellungsprozess des sog. ‚Skizzenbuch des Jacques Daliwe‘ (Liber picturatus A 74, um 1400), und die später ergänzten Passepartouierungen funktionalisiert werden, um eine schrittweise voranschreitende Entfremdungswirkung zu entfalten: Tabulae rasae – Dokumentation und Imagination im ‚Liber picturatus‘ A 74.

Den Abschluss des ersten Tages bildete der Vortragvon Elke Koch und Paul Stein (Freie Universität Berlin): Schlüsselszenen. Die Ikonographie des Gregorius und die Wunder in Anton Kobergers Druck von ‚Der Heiligen Leben‘ (Nürnberg 1488), in dem erneut die starke Verbindung zwischen religiösem Wunder und seine Visualisierung betont wurde.

Der zweite Tag startete mit dem Vortrag von Gesine Mierke und Christoph Schanze (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Überlegungen zur Medialisierung des Wunderbaren in der Wigalois-Überlieferung, in dem eine besondere Wechselwirkung von (fehlender) Visualisierung und Imagination im Zusammenspiel von Bild und Text im Wigalois gezeigt werden konnte.

Annette Gerok-Reiter (Eberhard Karls Universität Tübingen) befasste sich anschließend mit der Ästhetik des Wunderbaren im Tristan und fokussierte hier konkret das Hündchen Petitcriu als symbolischen Vermittler von Wissen. Das Hündchen verbindet synästhetisch Klang- und Visualisierungselemente und kann so als Visualisierung des Wunderbaren begriffen werden: Prekäre Ästhetik. Das Hündchen Petitcriu in Gottfrieds ‚Tristan‘ als Figuration des Wunderbaren.

Im dritten Vortrag des Tages identifizierte Mareike Reisch (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) Text-Bild-Beziehungen als entscheidendes Medium der Vermittlung des Wunderbaren in der Pilgerfahrt Arnolds von Harff, die je nach Kontext unterschiedliche interpretative Leistungen der Rezipierenden einfordern und häufig komplementär angelegt sind: Zwischen Veranschaulichung und Andeutung: Visuelle Darstellungen des Wunderbaren im Pilgertext Arnolds von Harff.

Christina Lechtermanns (Ruhr-Universität Bochum) Vortrag Dem Wunderbaren Raum geben – Grund, Feld und Raster in Büchern der Vormoderne musste krankheitsbedingt leider entfallen.

Im anschließenden Panel stand die Beschäftigung mit nicht-menschlichen Entitäten in mittelalterlicher Literatur im Fokus. Henrike Manuwald (Georg-August-Universität Göttingen) hinterfragte den Grad des Wunderbaren bei Pflanzen-Mensch-Verbindungen wie bei der Alraune oder den Blumenmädchen im Straßburger Alexander und schrieb deren Visualisierungen keinen unbedingt wunderbaren Charakter zu, da sich bereits durch Wissen decodieren lässt, was gezeigt werden soll. Nur ohne Vorwissen entsteht Verwunderung: Pflanzenmenschen: Faszination durch Nicht-Wissen. Laura Ginzel (Freie Universität Berlin) fokussierte ausgewählte Mensch-Tier-Verbindungen in spätmittelalterlicher Literatur. Am Beispiel der Sirenen und Kentauren im Apollonius von Tyrland, die in zwei bebilderten Handschriften auf textueller und visueller Ebene durch unterschiedliche Visualisierungsstrategien Verwunderung evozieren, konnte gezeigt werden, dass Differenzen textueller und visueller Darstellung diesen Effekt noch steigern und dass so das Wunderbare hervorgehoben wird: Das Wunderbare in der Fremde: Die Visualisierung anthropozoomorpher Mischwesen.

Im letzten und nun wieder kunsthistorisch geprägten Panel der Tagung betrachtete Karin Gludovatz (Freie Universität Berlin) zunächst das Stundenbuch der Maria von Burgund und fragte nach der visuellen Darstellung des Wunderbaren in den Natur- und Pflanzendarstellungen als vegetabile Pretiosen sowie dem Stundenbuch als metaphorisches Schmuckkästchen: Wunder der Natur? Vegetabile Pretiosen und der Codex als Schmuckkästchen. Clara Marie Kahn (Freie Universität Berlin) verfolgte abschließend eine kunsthistorische Analyse des Stundenbuches der Anne de Bretagne und legte dabei den Fokus auf die fehlenden semantischen Verbindungen zwischen den visuellen Darstellungen der Kürbispflanze als exoticum und den religiösen Textelementen: Vom Blatt zur Seite: Eine Pflanzensammlung im Stundenbuch.

In der Abschlussdiskussion wurde nochmals die große Vielfalt und Komplexität der Visualisierungsmöglichkeiten des Wunderbaren betont, die in den Vorträgen immer wieder zutage getreten sind. Insbesondere zeigte sich dabei, dass sich das Wunderbare nicht nur anhand seiner expliziten Hervorhebung manifestiert, sondern auch anhand seiner Abwesenheit oder funktionaler Leerstellen akzentuiert wird. Das (fehlende) Wissen über das Wunderbare ist also stets mitzudenken, damit eine Visualisierung des Wunderbaren gelingt.

Eine Publikation ist in Vorbereitung.

Organisation: Jutta Eming, Carolin Pape

Moderation: Jutta Eming, Carolin Pape, Antonia Murath, Tilo Renz, Mira Becker-Sawatzky