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Sibyllen und ihre Wissensgeschichten – Bildkünstlerische Darstellungen antiker Seherinnen im 15. und 16. Jh. in Deutschland

TypSeminar
Dozent/inDr. Mira Becker-Sawatzky
SemesterSommersemester 2022
Veranstaltungsumfang2 SWS
RaumDigital / 02 521 HS Kunstgeschichte
Beginn11.04.2022
Zeit

Mi 8:00–10:00 (digital) / Sa 10:00–19:00

Hinweis

Mi, 20. Apr. 2022 8:00–10:00 (digital) Mi, 27. Apr. 2022 8:00–10:00 (digital) Sa, 14. Mai 2022 10:00–19:00 Sa, 23. Jul. 2022 10:00–19:00 Mi, 27. Jul. 2022 8:00–10:00 (digital)

Vorstellungen von Sibylle(n), die als göttlich inspirierte Seherin(nen) weissagen, finden sich auf vielfältige Weise in verschiedenen vormodernen kulturellen und religiösen Kontexten – in Dichtung, Geschichtsschreibung, Mythographie, Theologie, Musik, geistlichem Spiel und bildender Kunst. In einem der ältesten erhaltenen Textfragmente (um 510 v. Chr.) heißt es bspw. in deutscher Übersetzung aus dem Griechischen: „Die Sibylle mit rasendem Munde Ungelachtes und Ungeschminktes und Ungesalbtes hinausrufend dringt durch Jahrtausende mit der Stimme, getrieben vom Gott.“ Verwurzelt ist die Sibyllen-Figur vermutlich in Kleinasien, doch sie und ihre Geschichten sowie Weissagungen wanderten wild durch den antiken Mittelmeerraum und gelangten durch komplexe Transferprozesse und Verflechtungsgeschichten nicht zuletzt auch ins europäische Mittelalter und die Frühe Neuzeit. Bildkünstlerische Darstellungen finden sich dann insbesondere in Italien, aber bspw. auch in Deutschland. Wie Sibylle(n) dort – schwerpunktmäßig im 15. und 16. Jahrhundert – dargestellt wurden und welche Wissensgeschichten jeweils mit ihren Bildern verknüpft sind, ist Thema des Seminars. Der regional-zeitliche Fokus wird dabei freilich fallweise durch Beobachtungen überregionalen und transkulturellen Austauschs geweitet. 
Untersucht werden Sibyllen-Darstellungen in unterschiedlichen Bildmedien, darunter Buchmalerei, Tafel- und Wandmalerei, Zeichnung, Skulptur, Druckgraphik sowie Bildteppiche. Die exemplarischen Fallstudien umfassen Werke von Künstlern wie u.a. Berthold Furtmeyr, Michel Erhart, Konrad Witz sowie Ludger und Hermann tom Ring. In den ausgewählten Darstellungen wird es mal um eine Sibylle als Einzelfigur (hier v.a. um die Tiburtinische Sibylle) und ein andermal um eine Gruppe von Sibyllen sowie um Sibyllen im Zusammenspiel mit Propheten, Philosophen oder auch Königen gehen. Zudem wird ein besonderes Augenmerk auf Verschränkungen der Sibylle mit der Gestalt der Königin von Saba gelegt. 
Konkret gefragt, wird bspw. wie bzw. inwiefern Sibyllen als Seherinnen und als Mittlerinnen zwischen göttlicher Instanz und Menschen ins Bild gesetzt sind. Welche Ikonographien der weissagenden Frauen sind einschlägig? Mit welchen medialen, materialen und ästhetischen Möglichkeiten und Darstellungsweisen werden Eingebung und Enthüllung verbildlicht? Sind die Sibyllen Sehende, Hörende, Lesende, Schreibende, Rufende? Sind ihre Sprüche auf Tafel, Rolle, Codex oder Spruchband für Rezipientinnen und Rezipienten sichtbar, ggf. auch lesbar und verständlich? Worum geht es in den jeweiligen Weissagungen und Visionen, die mit der dargestellten Sibylle verknüpft wurden? Um politische Prophetie, um heilsgeschichtliche Vorhersagen, um gegenwarts- oder zukunftsbezogene Schicksalsschläge oder Deutungen der Vergangenheit? Welches Bild-Text-Verhältnis wird (etwa in Bezug auf Sibyllen in antik-paganer Dichtung, in Kirchenväterschriften, mittelalterlichen Enzyklopädien, Weltchroniken, Heilsspiegeln oder Vatizinienliteratur) nachvollziehbar und inwiefern verschränken sich z.B. antik-pagane und christliche Vorstellungen? 
In der Zusammenschau der Fallbeispiele wird beobachtet werden, welche Autorität und Popularität Sibyllen genossen bzw. welche Geltung und Bedeutung ihre Weissagungen – gerade auch als weibliche Gelehrsamkeit bzw. Wissen einer inspirierten Frau – im jeweiligen Funktions- und Bedingungszusammenhang der Kunstwerke gehabt zu haben scheinen. Dabei wird es auch darum gehen, ob die Sibylle als positiv oder eher ambivalent bzw. negativ konnotierte Gestalt in Erscheinung tritt, als ‚prophitissa‘ oder auch mal als ‚phytonessa‘?