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Confessionalization and/as Knowledge Transfer in Eastern Christianity

Workshop des neogräzistischen Teilprojekts C06 „Transfer und Überlagerung. Wissenskonfigurationen in der Zeit der griechischen homines novi im Osmanischen Reich (1641–1730)“, 15.–16.12.2017

20.02.2018

Church-Shaped Casket from the Prodromos Monastery, Serres (1613).

Church-Shaped Casket from the Prodromos Monastery, Serres (1613).
Bildquelle: Benaki Museum, Athens, Inv. no. 13970.

Bericht von Nikolas Pissis

Die Konzeption des Workshops spiegelt zum einen die Neuausrichtung des Teilprojekts auf die Erforschung der klerikalen frühneugriechischen Wissenskultur (komplementär zu höfisch-phanariotischen); zum anderen positioniert er sich zu aktuellen Forschungstendenzen und -debatten, die eine Umdeutung des Konfessionalisierungsparadigmas bzw. seine Ausweitung – vom nachreformatorischen west- und zentraleuropäischen historischen Kontext hinaus – zu einem globalen Phänomen anstreben (z.B. jüngst die Konferenz „Global Reformations: Transforming Early Modern Religions, Societies, and Cultures“, September 2017, Toronto). In unserem Workshop lag der Schwerpunkt weniger auf der Frage inwieweit das Paradigma in seiner ursprünglichen Verbindung mit der Modernisierung, der Sozialdisziplinierung und der Entstehung des modernen Staates, auch in der Erforschung des Osmanischen Reiches oder der Ostkirche applizierbar sei. Vielmehr wurde von einem Verständnis der Konfessionalisierung als einem in erster Linie epistemischen Prozess ausgegangen: Ihren Kern bildet demnach „das Fragen-Stellen und das Fragen-Beantworten-Können-Müssen von Fragen, die man vorher so nicht hatte“ (Cornel A. Zwierlein, „Konfessionalisierung europäisch, global als epistemischer Prozess. Zu den Folgen der Reformation und zur Methodendiskussion“, in: Christoph Strohm (Hg.), Reformation und Recht. Ein Beitrag zur Kontroverse um die Kulturwirkungen der Reformation, Tübingen 2017, S. 1–51, hier: 9). Im Falle der Ostkirche bedeutete dies hauptsächlich „die Ausübung epistemischen Drucks durch normativen Vergleich und empirische Befragung“ (ebd. S. 34), mit anderen Worten: die Stimulierung von Konfessionalisierungsprozessen durch epistemischen Außendruck, d.h. Klarstellungsdruck, von Seiten der nachreformatorischen westeuropäischen Konfessionen. Die Erscheinungsformen und Resultate dieser Prozesse, die im Workshop diskutiert wurden, waren mannigfaltig. Wenn die Kommunikationskontexte Missionare und Diplomaten im Osmanischen Reich, wie auch griechische Reisende und Studenten in katholischen und protestantischen Lehranstalten mit einschlossen, so manifestierte sich der Wissenstransfer im Zusammenhang der neuen Bedürfnisse sowohl in der Aneignung katholischer theologischer Begriffe und Vorstellungen als auch in der Aktualisierung und Neukontextualisierung byzantinischer Bestände; sowohl in der normativen Bestimmung von verbindlichen orthodoxen Positionen, als auch im unverbindlichen Umgang mit konfessionellen Angeboten, der auf die Beschreibungskategorien der Inter- und Transkonfessionalität hinweist.

Nach den einleitenden Bemerkungen von Miltos Pechlivanos (FU Berlin) zu ebendieser Konzeption des Workshops, präsentierte Ovidiu Olar (Ruhr-Universität Bochum) gleich den spektakulärsten Fall aus diesem Phänomenenkomplex, nämlich die Frage nach dem Calvinismus des Patriarchen von Konstantinopel Kyrillos Loukaris (1620–1638 mit Unterbrechungen). Im Gegensatz zu einer allein auf (kirchen)politische Zwänge beschränkten Deutung, zeigte er, dass die Öffnung des Patriarchen gegenüber dem reformierten Protestantismus und auch sein skandalumwittertes calvinisierendes Glaubensbekenntnis am überzeugendsten im Zusammenhang mit Wissenstransferprozessen zu verstehen ist, die in der Identitätssuche, den Lesepraktiken und dem Druckprogramm des Patriarchen ihren Ausdruck fanden („Books for the Patriarch. The Libraries and the Printing Projects of Kyrillos Loukaris († 1638)“). Nikolas Pissis (FU Berlin) befasste sich mit verschiedenen Aspekten des lutherisch-orthodoxen Wissenstransfers in denselben Jahren anhand jener beiden Werke, die Zacharias Gerganos aus Epirus während und nach seinem Studienaufenthalt in Wittenberg (1619–1622) verfasst hat: seinem Katechismus und seinem Kommentar zur Johannesoffenbarung („Zacharias Gerganos’ Riddles and Lutheran-Orthodox Knowledge Transfer in the 1620s“). Der Beitrag von Stefano Saracino (Universität Wien) veranschaulichte die eingangs angesprochenen Dimensionen des Wissenstransfers als Fragen-Beantworten-Müssen besonders deutlich („The Transfer and Organization of Knowledge about the Greek Confession: Encounters and Colloquia between migrating Greek-Orthodox Clergymen and German scholars in the Holy Roman Empire (17th–Early 18th century“). Griechisch-orthodoxe Almosenfahrer im Heiligen Römischen Reich, besonders in protestantischen Ländern, wurden „Konfessionstests“ unterworfen, indem sie mit vorgefertigten Fragekatalogen konfrontiert wurden. Die unterschiedlichen Interessen der Gesprächspartner, die eingesetzten Strategien und nicht zuletzt die Wirkung von kulturellen Stereotypen sorgten für die (Dys-)Funktionalität jenes Wissenstransfers.

Ein Beispiel für die Neukontextualisierung theologischen Wissens führte Vasilios Makrides (Universität Erfurt) an. Nikephoros Theotokis aus Korfu plädierte um 1780 als Bischof von Cherson in Südrussland für eine flexible und duldsame Haltung gegenüber den russischen Altgläubigen, indem er als Vertreter einer „ökumenischen Orthodoxie“ das Prinzip der Nachsicht, der kirchlichen Oikonomia aufnahm und gegen eine kontraproduktive Strenge (Akribeia) ins Feld führte („Ecumenical Orthodoxy vs. Confessional Orthodoxies: Nikephoros Theotokis' Treatment of the Russian Old Believers and Knowledge Transfer from the Greek World to Russia“). Nikolaos A. Chrissidis (Southern Connecticut State University) meldete Skepsis gegenüber der Annahme einer genuinen Konfessionalisierung der Orthodoxen Kirche („What’s confessionalization got to do with it? Greeks Peddling Education and Salvation in Seventeenth-Century Russia“). So macht die Übernahme von Wissensbeständen und Praktiken aus der Katholischen Kirche, wie der jesuitischen Akademien-Curricula oder der Ablassbriefe, durch griechische Kirchenmänner im Russland des 17. Jahrhunderts eher in den Begriffen der Transkonfessionalität Sinn.

Nach Kreta und zu den konfessionellen Spannungen des frühen 17. Jahrhunderts, in den letzten Jahrzenten der venezianischen Herrschaft führte der Beitrag von Ulrich Moennig (Universität Hamburg). Anhand von Darstellungen des Jüngsten Gerichts in Fresken und Ikonen kretischer Klöster demonstrierte er den Zusammenhang zwischen bestimmten ikonographischen Motiven bzw. ihrer darstellerischen Optionen als konfessionalistischen Diskursen und den kollektiven Identitätsangeboten in einer bi-konfessionellen Gesellschaft („God’s Chosen People. Early Modern Greek Representations of the Last Judgement as a Medium of (Confessionalised) Discourse on Pre-national Collective Identity“). Den venezianischen Kontext thematisierte auch Kostas Sarris (FU Berlin) in seinem Beitrag über die redaktionelle und editorische Arbeit von Michail Mitros (später Metropolit von Athen Meletios) an verschiedenen Verlagshäusern Venedigs in den 1680er Jahren („Floating Across the Venetian Canals and Confessions: the Editing Work by “Michael, Priest, Metros from Ioannina”, later known as Meletios of Athens“). In der Lagunenstadt selbst und im Milieu der griechisch-orthodoxen Gemeinde kennzeichneten noch fließende Übergänge ein breites Spektrum zwischen konfessioneller Ambiguität oder Hybridität und Konversion.

Vassa Kontouma (École Pratique des Hautes Études Paris) widmete sich den Beziehungen der Patriarchen Jerusalems Dositheos (1669–1707) und Chrysanthos (1707–1731) mit englischen und französischen Gesprächspartnern und Korrespondenten („Globes, Maps and New Editions. An Order Placed by Dositheos of Jerusalem in 1689“). Sie zeichnete die Konturen eines Wissenstransfers nach, der von unterschiedlichen und teils gegensätzlichen Agenden bestimmt wurde. Ioannis Zelepos (LMU München) brachte mit dem Beispiel der Kollyvaden, der orthodoxen Eiferer-Bewegung des „langen 18. Jahrhunderts“, zum einen die Dimension der immanenten Dynamiken und somit des internen Transfers im Zusammenhang mit Konfessionalisierungsprozessen in die Diskussion; zum anderen die komparative Dimension (ähnliche Dilemmata – vergleichbare Lösungsansätze und Diskurse) durch den Vergleich mit der sephardischen Musar-Literatur („A Comparative Look on Confessionalization in Ottoman Orthodoxy: The Kollyvadic Publishing Program and Ladino Musar Literature in the „Long“ 18th Century“). Schließlich spürte Niki Papaïliaki (Paris) modernen historiographischen Projektionen nach, welche die Gründung der Evangelischen Schule Smyrnas im frühen 18. Jahrhundert erst nachträglich als Reaktion auf die Bedrohung durch jesuitische Missionare umdeuteten, indem die eher ausschlaggebenden diplomatischen und kommerziellen Antagonismen ausgeblendet wurden („The Evangelical School of Smyrna and Adamantios Korais“).

In den Beiträgen und Diskussionen wurde die eingangs angesprochene Mannigfaltigkeit der Phänomene deutlich, die wir im Sinne einer Arbeitshypothese als Konfessionalisierungsprozesse in der Ostkirche kategorisiert haben. Deutlich wurde auch, dass sich diese wichtige Debatte noch ganz in ihren Anfängen befindet - somit noch keineswegs ein abschließendes Fazit über Nutzen und Nachteil des Paradigmas gezogen werden kann, auch kann die Dimension des Wissenstransfers bzw. das Verständnis der Konfessionalisierung als ein in Grunde epistemischer Prozess sich über die Forschungsziele des Teilprojektes hinaus als fruchtbar erweisen. Es ist geplant, die Workshopbeiträge in einem Sammelband zu veröffentlichen.