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Spätantike Rechtssysteme im Wandel: Rezeption, Transformation und Rekontextualisierung von Rechtsbegriffen

Workshop des SFB-Teilprojekts C03 „Interaktion und Wandel orientalischer Rechtssysteme. Transfer normativen Wissens am Beispiel des zoroastrischen und islamischen Rechts (7.–11. Jh.)“, 22.05.2015

11.06.2015

Kaiser Justinian. Mosaiken in Ravenna, St. Vitalis (Ausschnitt).

Kaiser Justinian. Mosaiken in Ravenna, St. Vitalis (Ausschnitt).
Bildquelle: The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM, 2002. ISBN 3936122202 lizensiert unter the GNU Free Documentation License: www.gnu.org/licenses/fdl.html

Bericht von Benjamin Jokisch
 

Gegenstand des Workshops bildete die Fortentwicklung spätantiker Rechtssysteme im Bereich der Rechtsterminologie. Die im jüdischen, kanonischen, islamischen und römischen Recht hoch entwickelten Fachsprachen eignen sich als zentrale Strukturelemente der jeweiligen Systeme besonders gut für eine Untersuchung eventueller Transfers normativen Wissens, zumal die genannten Rechtssysteme jener Zeit unabhängig von ihrer religiösen Prägung durch einen deutlichen Traditionsbezug gekennzeichnet sind und über keine oder nur sehr eingeschränkte, gesondert entwickelte Rechtsfortbildungsinstrumente verfügen. Dass aber dennoch, bedingt durch systeminterne ebenso wie -externe Prozesse, Veränderungen möglich sind und tatsächlich bewirkt wurden, konnte im Rahmen der Vorträge von ExpertInnen der verschiedenen Rechtssysteme am Beispiel der Rechts­terminologie sowie spezifischer Formen der Rechtsargumentation deutlich gemacht werden.

Im ersten Panel „Rechtsbegriffe und -institutionen im transkulturellen Kontext“, das die Interaktion verschiedener Rechtsysteme in Bezug auf juristische Termini behandelte, referierte Johannes Pahlitzsch (Byzantinistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz) zunächst über die Entwicklung der byzantinisch-römischen piae causae im Kalifat vor dem Hintergrund der islamischen Stiftung (waqf). Hier näherten sich die beiden Institutionen so sehr an, dass der islamische Terminus waqf zu einem festen Terminus für die christliche Stiftung wurde, auch wenn die Inhalte nicht deckungsgleich waren. Als vermittelnde Instanz der Annäherung erwies sich vor allem die islamische Jurisdiktion. Ganz anders verhielt es sich beim zoroastrischen stūrīh (Institut, in dem stellvertretend für das Familienoberhaupt Nachkommen gezeugt werden), das – so Richard Payne (Alte Geschichte des Vorderen Orients, University of Chicago) in seinem Vortrag – von den nestorianischen Christen im sasanidischen Reich inhaltlich, aber nicht begrifflich rezipiert wurde. Sinn und Zweck der Institution, die Sicherung der Nachkommenschaft einer Elite, war auch für die führenden Nestorianer des Reiches relevant, doch erfolgte die Übernahme stillschweigend, um den Anschein der Eigenständigkeit des kanonischen Rechts zu bewahren. Eine vergleichende Analyse der im zoroastrischen, islamischen und jüdischen Recht bedeutsamen und sehr ähnlichen Einrichtung der Responsa lieferte János Jany (Rechtswissenschaft und Iranistik, Pázmány Péter Catholic University Budapest). Er machte deutlich, dass vor allem die Rechtsgutachter nicht zuletzt aufgrund der Nähe zur Praxis die Fortbildung normativen Wissens vorantrieben.

Das zweite Panel „Wandel von Rechtsbegriffen und Argumentationsformen im jüdischen und römischen Recht“ befasste sich mit Rechtstransfers innerhalb eines einzelnen Rechts­systems. Ronen Reichmann (Jüdisches Recht, Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg) skizzierte in seinem Vortrag die Entwicklung einer dialektischen Argumentationsfigur (peshita-Argument), die seit der tannaitischen Periode zu einer Normierung der Tradition führte. Hier ist es eine bestimmte Argumentationsform, die sich u.a. auf die Deutung von Begrifflichkeiten in der Tora und später auch im Talmud auswirkte. In den weiteren Vorträgen ging es um Begriffe des römischen Rechts. Anna Seelentag (Antike Rechtsgeschichte, Goethe-Universität zu Frankfurt) behandelte die beiden Termini tutela und cura, die im klassisch-römischen Recht zunächst unterschiedliche Institutionen bezeichneten, in der weiteren Entwicklung des römischen Rechts aber aufgrund veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse zunehmend verschmolzen. Im Zentrum des Vortrages von Johannes Platschek (Römisches Recht, Antike Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht, Ludwig-Maximilians-Universität München) stand der Begriff arra (Angeld). Ähnlich wie seine Vorrednerin konnte er die langsame, aber kontinuierliche Umdeutung eines Rechtsterminus innerhalb des römischen Rechts aufzeigen, indem er die unterschiedlichen Konnotationen von arra im Zuge späterer Rezeptionen in Gebieten römisch-rechtlicher Prägung erläuterte. Im abschließenden Vortrag von Thomas Rüfner (Rechtswissenschaft, Universität Trier) ging es um die Neu­deutung prozessrechtlicher Begriffe wie ius, iudex, iurisdictio, actio oder litis contestatio aufgrund eines Paradigmenwechsels im Zivilverfahren. Durch den Übergang vom Formular­prozess zum Kognitionsprozess musste die mit dem Prozessrecht verknüpfte Terminologie angepasst werden. Weitere begriffliche Veränderungen waren übersetzungsbedingt, da nach der Kodifikation Justinians das Griechische zunehmend das Lateinische ersetzte.

Ergebnisse
Der Workshop hat nicht nur exemplarisch anhand der Rechtsterminologie gezeigt, dass die Rechtssysteme der Spätantike durchaus fähig zur Fortentwicklung waren, sondern auch Aufschluss über verschiedene Wege und Bedingungen des Wandlungsprozesses gegeben. Für diesen sind transkulturelle Faktoren wie die Übernahme fremder Rechtselemente insbeson­dere über den Weg der Jurisdiktion ebenso kausal wie systeminterne Faktoren wie Bedeutungsverschiebungen einzelner Institutionen (Kognitions­prozess statt Formular­prozess), Sprachenwechsel (Griechisch statt Lateinisch) oder Anpassung an veränderte Sozialstrukturen. Auch zugrundeliegende formalisierte Argumentationsformen können sich wandeln und auf die Begrifflichkeiten und damit das ganze Recht einwirken. Generell ist in der abschließenden Diskussion deutlich geworden, dass Rechtstermini einen höchst fruchtbaren Anknüpfungspunkt für rechtsvergleichende und rechtshistorische Untersuchungen bilden und daher interdisziplinäre Workshops dieser Art unbedingt fortgesetzt werden sollten. Auch hat sich das Stiftungs- und vor allem das Erbrecht als ein vielversprechendes gemeinsames Forschungsfeld der beteiligten Disziplinen herauskristallisiert, das tiefere Einblicke in Wirtschaftsgeschichte spätantiker Kulturen liefern könnte.