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Bibliotheken und antiquarische Sammlungen in der Zeit der ersten Phanarioten

Workshop des Teilprojekts C06 „Transfer und Überlagerung. Wissenskonfigurationen in der Zeit der griechischen homines novi im Osmanischen Reich (1641–1730)“, 23. September 2013

03.11.2014

Teilprojekt C06

Teilprojekt C06

Bericht von Kostas Sarris und Nikolas Pissis
 

Die Bibliothek der Mavrokordati als zentraler Ort des Wissens, der Speicherung, Aushandlung und Rekonfiguration von Wissensbeständen in der Zeit der ersten Phanarioten bildet Ausgangspunkt und Leitfaden der vom Teilprojekt organisierten Workshops. Ziel des zweiten Workshops, der ausnahmsweise in Athen (Kulturstiftung der Griechischen Nationalbank) veranstaltet wurde, war es, die Bibliothek, die Sammlungstätigkeit und die Editionsprojekte der Mavrokordati in ihren historischen Kontext zu stellen, das Feld der zeitgenössischen Bibliotheken nachzuzeichnen und Aspekte der Buchkultur, des Druckwesens sowie des Antiquarianismus im südosteuropäischen, osmanischen Raum im Zusammenhang mit der Forschungsarbeit des Teilprojekts, mit Kolleginnen und Kollegen aus Griechenland zu besprechen.

Daher präsentierten Miltos Pechlivanos und Nikolas Pissis (FU Berlin), als Einleitung zum Workshop die Arbeit des Teilprojekts an der Bibliothek der Mavrokordati, das Vorhaben ihrer Rekonstruktion und die damit verbundenen Perspektiven und Probleme. Alexis Politis (Universität Kreta) schloss sich daran mit Überlegungen zur Sammellogik und –praxis von Nikolaos Mavrokordatos, die seine Bibliothek als eine in erster Linie fürstliche Bibliothek bezeichnen lassen. Triantafyllos Sklavenitis (Nationales Forschungsinstitut Athen) bot einen Überblick über die Geschichte des griechischen Buches in der Zeit der ersten Phanarioten, legte quantitative und inhaltliche Tendenzen dar und ordnete die editorischen Projekte von Nikolaos Mavrokordatos an den fürstlichen Druckereien der Donaufürstentümer in diese Zusammenhänge ein: ihre Blüte im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts ging mit dem relativen Rückgang der griechischen Buchproduktion bei den venezianischen Druckereien einher.

Dimitris Apostolopoulos (Nationales Forschungsinstitut Athen) befasste sich mit der Bibliothek des Patriarchats von Konstantinopel bis zum Aufstieg der Phanarioten. Der Rekonstruktion ihrer Bestände stehen unüberwindbare Schwierigkeiten im Weg; nur indirekt, aus Urkunden und Synodalbeschlüssen lassen sich bestimmte Titel, etwa Rechtskodifizierungen belegen, welche die praktische Bedeutung der Bibliothek für die Bedürfnisse der Patriarchatskanzlei aufzeigen. Der Beitrag von Dimitris Papastamatiou (Aristoteles-Universität Thessaloniki) ermöglichte einen vergleichenden Blick auf die zeitgenössischen Bibliotheken muslimischer Besitzer im Osmanischen Reich. Anhand einer Fallstudie zu privaten Bibliotheken in Thessaloniki in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wie sie uns aus den erhaltenen Kadi-Amtsregister bekannt sind, präsentierte er statistische Daten zu Gattungen und Sprachen sowie zum Umfang der Bibliotheken und betonte dabei den Luxuscharakter, den der Besitz von (hauptsächlich handschriftlichen) Büchern nach wie vor hatte. Vorgelesen wurde der uns im Vorfeld geschickte Beitrag von Chariton Karanassios (Athener Akademie). Sein Gegenstand war die Funktion der Netzwerke, die Nikolaos Mavrokordatos für den Erwerb von kostbaren Handschriften aus verschiedenen Klosterbibliotheken betrieb. Durch seine Almosenspende für die Athosklöster und weitere Mönchsgemeinden gewann der Fürst ihr Vertrauen und ihre Dankbarkeit, die er für seine gezielte und intensive Handschriftenjagd zu nutzen wusste.

Im letzten Abschnitt des Workshops wurden Aspekte des Antiquarianismus behandelt. Georgia Metaxa (Universität Kreta) stellte einführend den Forschungsstand zum frühneuzeitlichen Antiquarianismus vor, schilderte die Bedeutung Istanbuls als Zentrums antiquarischen Handels im 17. und 18. Jahrhundert und ordnete die einschlägigen Interessen des Fürsten Nikolaos, insbesondere seine numismatische Sammlung, in diese Kontexte ein. Der abschließende Beitrag von Kostas Sarris (FU Berlin) galt den antiquarischen Methoden, die in Texten zweier kirchlichen Gelehrten aus dem Kreis der Mavrokordati, des Patriarchen Nektarios von Jerusalem und des Metropoliten Meletios von Athen, nachspürbar sind. Er beschrieb den unterschiedlichen Umgang mit Inschriften als Beleg für die Verfügbarkeit antiquarischer Methoden im Bereich sowohl des sakralen als auch des empirischen Wissens, gemäß ihrer Herkunft jeweils aus der post-tridentinischen Historia Sacra (Nektarios) und der frühneuzeitlichen Geographie (Meletios).    

Am Workshop teilgenommen haben außerdem Marie-Elisabeth Mitsou (LMU München / EHESS Paris), Stessi Athini (Universität Patras) und Ioannis Kokkonas (Ionion-Universität). Besonders gewinnbringend für das Teilprojekt war, neben den Neuerkenntnissen, die sich aus der vergleichenden Kontextualisierung der Mavrokordati-Bibliothek ergaben, die Diskussion über ihre angestrebte Rekonstruktion, die geäußerten Überlegungen, Vorschläge und auch kritische Bemerkungen bezüglich der Erstellung einschlägiger Datenbanken. Dabei konnte das Teilprojekt von der langjährigen Erfahrung profitieren, die aus Projekten des Nationalen Forschungsinstituts in Athen zur Erfassung neugriechischer Bibliotheken gesammelt worden ist.