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Mediterranean Connections and Their Asymmetries: Medieval and Early Modern German Literatures in the Context of the Mediterranean World

International Workshop with Sharon Kinoshita (University of California, Santa Cruz) Organized by Antonia Murath and Falk Quenstedt (B02), 07.09.2022

19.10.2023

B02 – Das Wunderbare als Konfiguration des Wissens in der Literatur des Mittelalters

B02 – Das Wunderbare als Konfiguration des Wissens in der Literatur des Mittelalters

Tagungsbericht, Mediterranean Connections and Their Asymmetries: Medieval and Early Modern German Literatures in the Context of the Mediterranean World (Falk Quenstedt, Antonia Murath, B02)

Bericht: Antonia Murath, Falk Quenstedt

Im Rahmen des Dahlem Junior Host Program 2022 konnten Falk Quenstedt und Antonia Murath (B02) eine mehrwöchige Kooperation mit Prof. Dr. Sharon Kinoshita (University of California, Santa Cruz und Co-Direktorin des UCSC „Center for Mediterranean Studies“ und des Netzwerks „The Mediterranean Seminar“) verfolgen. In einer Reihe von Arbeitsgesprächen, die durch das DJHP gefördert waren, diskutierten sie die Produktivität des Modells einer ‚Mediterranen Literatur‘ für das Verständnis deutschsprachiger Texte der Vormoderne. Dabei ging es unter anderem um die Vereinbarkeit oder auch mögliche Nichtvereinbarkeit eines ‚mediterranen‘ Zugriffs, der insbesondere transkulturelle Verflechtungen betont, die quer zu dichotomen Ordnungsparametern wie etwa Christentum vs. Islam oder Europa vs. Orient stehen, mit Modellen und Fragestellungen der postkolonialen Theorie. Ein weiterer Schwerpunkt war die Verständigung über Primärtexte unterschiedlicher vormoderner Literaturen unter ‚mediterranen‘ Aspekten, etwa der Mehrsprachigkeit, konkreter Formen und narrativer Strukturprinzipien und der literarischen Verarbeitung sozialer Realitäten des Mittelmeerraums wie Seefahrt, Piraterie und (Menschen-)Handel, Seesturm und Schiffbruch, religiöse Differenzen und Bekehrung.

Unter diesem Zeichen fand am 07.09.2022 durch Förderung des SFB 980 ein zusätzlicher offener, englischsprachiger Workshop statt, dessen Teilnehmer:innen Thesen zu vorab geteilten Primärtexten per Impulsvortrag zur Diskussion stellten.

Sharon Kinoshita eröffnete den Workshop mit dem Vortrag How to do Things in the Medieval Mediterranean: The View from the Far West, der ihre Arbeit am ‚Mediterranen‘ der letzten 15 Jahre summierte: ‚Das Mediterrane‘ als ein strategischer Essentialismus, der die Reflektion der eigenen Sprecher- und Fachperspektive erzwingt und mit der Fokussierung des mediterranen Raums als einenden wie grenzenden Ort unterschiedlicher und wechselnder Ökosysteme, Herrschaftsbereiche, Sprachen und Religionen sowie als Knotenpunkt des Transfers von Dingen, Wissen und Technologien Peripherien und Zentren anders denkt. Besonders zu berücksichtigen seien literaturhistorische Phänomene wie Übersetzungsbewegungen sowohl von Erzählungen wie auch von Erzählformen, eine Vielheit von Sprachen und Schriftsystemen, sowie bestimmte Erzählinteressen (s.o.). Daran angeschlossen haben die teilnehmenden Wissenschaftler:innen (Prädoc und Postdoc) ihr Material im Hinblick auf Erkenntnispotentiale des ‚Mediterranen‘ insbesondere auch für deutschsprachige Texte des Mittelalters vorgestellt.

Michael R. Ott (Ruhr-Universität Bochum), Transferring the Mediterranean to Central Europe – Postcolonial Moves of the Teutonic Order, erprobte die Übertragbarkeit eines ‘mediterranen‘ auf im baltischen Raum produzierte und rezipierte devotionale Literatur des Deutschritterordens. Doriane Zerka, (University of Cambridge), Iberia and the Mediterranean stellte die Vorstellung einer mediterranen Geografie und transmediterranen Herrschaftsvision im Prosaroman Herzog Herpin der Elisabeth von Nassau Saarbrücken vor. Esther von Stosch (Universität Köln/ University of Arizona), Peripheral Views on the Mediterranean: Material Hybridity in Middle High German and Persian Narratives of Alexander the Great, stellte mediterran zirkulierenden Erzählweisen die aus mediävistischer Perspektive geradezu globale Erzähltradition um Alexander den Großen vor und lotete aus, inwiefern der Mittelmeerraum hier eher eine Peripherie als das Zentrum darstellt und ob das noch sinnvoll mit einem Paradigma ‚mediterraner‘ Literatur verbunden werden kann. Antonia Murath (B02) verortete mit Mediterranean Matters: Material Poetic die vornehmlich als ATU 706 bekannte Erzähltradition ‚Mädchen ohne Hände‘ im Mediterranen und erprobte eine Lesart der aljemiadischen Leyyendda de la Donzella Carcayona und des englischsprachigen Lais Emaré, inwiefern die Tatsache der Zirkulation auch durch erzählte kostbare Objekte ausgestellt wird. Falk Quenstedt (B02) widmete sich in seinem Beitrag A Shared Culture of Constructing the Religious Other? ‘Wil(d)helm von Österreich‘ and the ‚Sīrat Sayf ibn Dhī Yazan‘ motivischen, narrativen und epistemischen Analogien in einem mittelhochdeutschen Roman und einem arabischen Epos, insbesondere mit Blick auf die Darstellung polytheistischer ‚Anderer‘. Beide Texte ziehen mithilfe weiblicher Magier-Figuren Wissensgrenzen zwischen verschiedenen Figurengruppen. Die monotheistischen (christlichen oder muslimischen) Figuren verfügen dabei gemeinsam mit dem eingeweihten Publikum jeweils über einen Wissensvorsprung gegenüber den getäuschten ‚heidnischen‘ Figuren, die so mitsamt ihrem Glauben dem Spott preisgegeben werden.

Diskussionsergebnisse des Workshops waren:

  • die Frage nach den Grenzen, auch in geographischer Hinsicht, eines ‚mediterranen‘ Modells
  • die Unterschiede der Fachkulturen (insb. Romanistik und Germanistik), aus denen a priori unterschiedliche Bewertungen  etwa von Übersetzungsliteratur hervorgehen
  • die Feststellung der Bedeutung von Formen gegenüber Inhalten, wie etwa die Rahmenerzählung oder andere Strukturmuster, die von der iberischen, französischen, deutschen und englischen Literatur mit der persischen und arabischen Literatur geteilt werden; ebenso gemeinsame Kristallisationsfiguren, Motive und Themen
  • die Einschreibung nordeuropäischer, primär deutschsprachiger Literatur, etwa auch aus dem baltischen Raum, in eine (imaginäre) Geografie des Mediterranen
  • die Notwendigkeit der interdisziplinären Vernetzung, gerade um die historische Spezifizität eines jeden einzelnen Texts nicht gegenüber einem gleichmachenden ‚Mediterranen‘ aus dem Blick zu verlieren