Springe direkt zu Inhalt

Johann Valentin Andreae und die Rosenkreuzer

Tagung konzipiert und organisiert von Wilhelm Schmidt-Biggemann und dem Teilprojekt A06 „Alchemia poetica. Chemisches Wissen und Dichtung um 1600“ (Leitung: Prof. Dr. Volkhard Wels), 28.02.–01.03.2019

30.05.2019

Porträt von Andreae

Porträt von Andreae
Bildquelle: Kupferstich von Johann Pfann

Bericht von Juschka Lioba Matthes und Simon Brandl

Ziel des interdisziplinären Arbeitsgespräches war es, genauer zu bestimmen, wie die Rosenkreuzer-Schriften, d.h. die Fama Fraternitatis (1614), die Confessio Fraternitatis (1615) und die Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreutz anno 1459 (1616) im theologischen, politischen und wissenschaftlichen (insbesondere alchemischen) Kontext der Zeit zu verorten sind. Höchst umstritten in der Forschung ist, wie sich das in den Rosenkreuzer-Schriften vermittelte Wissen beschreiben lässt. Die juristischen Prozesse, die sich an die Veröffentlichung der Rosenkreuzer-Schriften anschließen, zeigen, dass die weltlichen Autoritäten allerdings deren politische Deutungsangebote durchaus ernst genommen haben. Aufgrund der divergierenden, teils hochbrisanten Vereinnahmungen der Rosenkreuzer-Schriften will Andreae selbst spätestens 1619 nichts mehr mit diesen zu tun haben. Angesichts dieser widersprüchlichen Einschätzungen der Rosenkreuzer-Schriften ist die genauere Bestimmung des Wissens, das die Rosenkreuzer-Schriften vermitteln, von entscheidender Bedeutung. Die auf dem Arbeitsgespräch kontrovers diskutierten Fragen waren deshalb, wie das Wissen dieser Schriften theologisch und konfessionell zu verorten ist, wie sich der geheime Bund der Rosenkreuzer zu Andreaes anderen Entwürfen von christlichen Gemeinschaften verhält und inwiefern die Rosenkreuzer als ein protestantischer Gegenentwurf zu den Jesuiten verstanden werden können, mit denen sie nicht nur den Verzicht auf die Ordenskleidung teilen, sondern auch die hierarchische Organisationsform. Diskutiert wurde, wie sich die Bruderschaft zu den zeitgenössischen Akademien verhält, mit denen sie das Interesse an naturkundlichem Wissen und – vielleicht – die Opposition zum ‚toten Buchwissen‘ der Universitäten teilt, genauso wie die Frage, wie sie sich zum Paracelsismus als einer neuen Grundlegung des medizinischen Wissens verhält. Mit dem Paracelsismus hängt schließlich auch engstens die Frage nach dem Status des alchemischen Wissens, besonders natürlich in der Chymischen Hochzeit, zusammen. Es ist nicht klar, was für eine Konzeption von Alchemie hier zum Ausdruck kommt und welchen theologischen Status dieses alchemische Wissen in der Bruderschaft hat. Das betrifft insbesondere den alchemischen Kern der Chymischen Hochzeit, die Produktion eines Homunculus. Jeder Versuch, diese Fragen zu beantworten, muss immer auch in Betracht ziehen, dass es sich nicht nur bei der Chymischen Hochzeit, sondern auch bei der Fama und der Confessio um ein narrativ vermitteltes Wissen handelt. Nicht zuletzt deshalb haben die Rosenkreuzer-Schriften immer schon die Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft gefunden: Sie vermitteln ihr Wissen eben nicht in abstrakt-begrifflicher, sondern in der narrativen Form eines Berichts oder (wie manche meinen) gar Romans. Es geht um Grabesöffnungen, Reisen, verlorene Manuskripte, geheime Bruderschaften und nicht zuletzt um eine Art Initiation. Gerade aus literaturwissenschaftlicher Perspektive war deshalb die Frage nach möglichen Modellen der Rosenkreuzer-Manifeste von besonderer Bedeutung. 

 

Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin) zeigte auf, dass Andreae sich in zahlreichen seiner ab 1614 edierten Schriften gegenüber einer alchemischen und astrologischen Vereinnahmung des Rosenkreuzer-Narrativs abgrenzt und dieses in den Dienst einer Erbauungsliteratur stellt, die maßgeblich von Johann Arndts praxisbezogenem Christentum beeinflusst ist. Indem er die Idee von Konventikeln und Seminaren als Keimzellen einer wahren Religiosität erzählerisch weiterentwickelte, verlieh Andreae einem anti-katholischen Reformprogramm Geltung. Unter den Persönlichkeiten, deren radikal-reformatorische Ideen um 1610 zur Gründung von Konventikeln und Journalen führten, hob Anne Eusterschulte (Berlin) den Theosophen Tobias Heß hervor. Dessen joachimitisch-endzeitlicher Visionismus fand Eingang in die Fama Fraternitatis. Diese wurde wiederum im frühneuzeitlichen England rege rezipiert. Die göttliche Weisheit des prälapsaren Adam fungiert als Beleg für die Existenz eines restituierbaren, idealen Wissens. In dem von Samuel Hartlib publizierten Werk Description of the famous Kingdom of Macaria findet dieses Wissen in Form einer Sozialutopie praktische Umsetzung: Der Mensch ist hier vor dem Hintergrund der nahen Parusie strengen Moralsystemen und einem rigiden Arbeitsregime unterworfen, das sich als Sühne für den Fall Adams ausgibt.

 

Jiri Beneš (Prag) referierte über die Beziehung von Andreae und Johann Amos Comenius, die einem Lehrer-Schüler-Verhältnis glich. Comenius hegte für Andreae, mit dem er in regem Briefkontakt stand, große Bewunderung. Allerdings stieß sein Vorschlag eines gemeinsamen Reformprogrammes bei seinem Adressaten nur auf ein verhaltenes Echo. Comenius verteidigte 1647 pansophische Texte gegen den ‚scholastischen Verstand‘; dies indirekt auch gegen Andreae, der die Pansophie zuvor kritisiert hatte. Comenius entwarf eine Utopie einer Gesellschaft, die unter einer einheitlichen Kirche Christi stehen sollte. Zur deren Verwirklichung dürfe auch Zwang eingesetzt werden, vorausgesetzt, dass dies nur der umstandslosen Durchsetzung des reformatorischen Friedensprojekts Rechnung trage. Louis Berger (Berlin) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der in Frage stehenden Affinität des Theosophen und Mediziners Abraham von Franckenberg zum Reformprogramm der Rosenkreuzerschriften. Da Franckenberg letzteren einzelne Zitate entlieh, die in seine späten Werke Via Veterum und Mir nach Eingang fanden, herrschte in der älteren Forschung lange Zeit die Auffassung vor, Franckenberg sei durch die Bewegung der Rosenkreuzer inspiriert gewesen. Ein präziseres Bild zeichnet die erst später in den Blick geratene Conversatio cum antiqua virtute fideque Georg Lorenz Seidenbechers, aus der ein offenes Bekenntnis zur Rosenkreuzerbewegung allerdings nicht ersichtlich wird. Wenngleich Franckenberg der Vision einer chiliastischen Heilung aller körperlichen und geistigen Gebrechen sowie der Idee einer Generalreformation anhing, so stand er doch vor allem unter dem Einfluss eines mystisch gefärbten Spiritualismus, wie ihn Bruno, Weigel, Arndt und Böhme vertraten. Frank Böhling (Berlin) stellte ausgehend von Andreaes Peregrini in patria errores von 1618, der mit dem Cives christianus ein Diptychon bildet, das Motiv des Wanderers vor, der auf der Suche nach dem richtigen Weg zahlreiche Stationen, die der Vermittlung philosophischer und religiöser Moralvorstellungen dienen, durchläuft. Weiterhin nahm Böhling die motivgeschichtliche Entwicklung des Peregrinus-Narrativs in den Blick, wobei er u.a. auf das Libro del Peregrino des Spaniers Jacopo Caviceo und auf die Wunderliche und wahrhafftige Gesichte des mit Andreae bekannten Johann Michael Moscherosch einging. 

 

Dirk Werle und Uwe Maximilian Korn (Heidelberg) beschäftigten sich in ihrem Vortrag mit der narrativen Faktur und erzählhistorischen Situierung der Chymischen Hochzeit. Hierbei verwiesen sie besonders auf den Spielcharakter des Textes. So ergibt sich beispielsweise der Inhalt der in der Chymischen Hochzeit verwendeten Geheimschrift auch ohne sie zu entziffern und es ist unklar, ob im Text tatsächlich Wahrheiten aufgedeckt werden können oder diese bloß angedeutet werden. Rätsel und Verrätselungen in der Chymischen Hochzeit war auch Volkhard Wels (Berlin) auf der Spur. Seiner These zufolge bestehe der Reiz des Textes in der Verhüllung von Wissen. Neben aus der gängigen Unterhaltungsliteratur der Zeit entnommenen Rätseln, mathematischen Rätseln, die den modernen Stand der Mathematik wiedergeben und Spielereien mit Geheimschriften finden sich ebenso in den Marginalien verschiedene und zum Teil widersprüchliche Ansätze zur Auflösung der im Text verwendeten Abkürzungen, emblemartige Arrangements und Bedeutung suggerierende Zeit- und Ortsangaben, die der bewussten Mystifikation dienen. Nicht um Mystik gehe es demnach in der Chymischen Hochzeit, sondern um eben solche Mystifikationen. Der Chymischen Hochzeit widmete sich auch Didier Kahn (Paris), und zwar insbesondere der Alchemie. Er stellte die Frage nach dem Status des alchemischen Wissens, insbesondere was die Produktion der Homunculi betrifft. Kahn kommt zu dem Schluss, dass dem Text – wenn überhaupt – nur Teile alchemischer Prozessbeschreibungen und keinerlei fundiertes alchemisches Wissen zugrunde liegt. Die Herstellung der Homunculi, die den Bezug zur Alchemie herstellt, werde nur in der Marginalie, die wahrscheinlich gar nicht von Andreae stammt, als solche bezeichnet. 

 

Paul Brakmann (Berlin) beleuchtete das Verhältnis, das zwischen dem Wissen der Rosenkreuzer und praktischen Wissensbeständen steht. Hierzu stellte er einen Text Daniel Möglings vor, der sich mit der hypothetischen Möglichkeit der Konstruktion eines Perpetuum Mobiles befasst. Mögling stand bei seiner Theoretisierung eines zirkulierender Bewegungsvorgangs unter dem Eindruck der Apparaturen eines Cornelius Drebbel, deren Wirkweise er zwischen Mechanica und Magia ansiedelt und damit unter Verwendung alchemo-paracelsistischer Fachtermini spiritualisiert. Brakmann verwies in diesem Kontext auf die spiritus-Physiologie in Möglings Speculum sophicum, die ihrerseits durch die Zwölf Traktate des Paracelsisten Michael Sendivogius beeinflusst ist. Abschließend zeigte er anhand von Möglings Kontroverse mit Friedrich Grick auf, wie sich die Theorie des Perpetuum Mobiles in das Programm einer General-Reformation einfügt: Sie geriert sich als Exempel eines verlorenen aber restituierbares Wissen. 

 

Simon Brandl und Jost Eickmeyer (Berlin) referierten über Heinrich Nollius und sein Parergi philosophici speculum, einen nur in zwei Exemplaren überlieferten Initiationsroman, in dem der Protagonist, Philaretus, verschiedene Stationen auf seinem Weg zur Weisheit absolvieren muss. Im Text lassen sich viele Parallelen zur Chymischen Hochzeit finden, Nolles Botschaft ist jedoch ungleich ernster zu nehmen als Andreaes ‚Spielerei‘ (ludibrium, wie Andreae selbst den Text nannte): Zum Ziel, der Burg der Weisheit, führt bei Nollius neben Demut und Frömmigkeit auch die Alchemie.

 

Von der Erlösung aus dem Norden berichtete Bernd Roling (Berlin) in seinem Beitrag zu Johan Bureus und dem Uralphabet. Der Paracelsismus war insbesondere in Dänemark und Schweden sehr fruchtbar und wurde mit der altnordischen Tradition verbunden. Buraeus entwickelte daraus eine kabbalistisch-hermetische Uroffenbarung mit einem eigens entworfenen Uralphabet. Aus dieser Erlösungsphilosophie, die auf Thor, Odin und Freya basiert, entspann sich eine komplexe Heilsgeschichte und ein hoch aufgeladenes Symbolsystem, in dessen Rezeption die Nähe der Skandinavier zu den Israeliten gesucht wurde. Der Rezeption Andreaes widmete sich schließlich auch Friedrich Vollhardt (München). Er sprach über Lessings letzte Briefe an Herder und ihren Bezug zur Dichtung im Andreae-Kreis. Während Herder sich Andreae in der von ihm herausgegebenen Sammlung der Werke Campanellas widmet, stand er mit Lessing diesbezüglich in Briefkontakt. Obgleich Herder ebenso wie Lessing ein Mitglied der Freimaurerloge war, bezeichnete er die Fama Fraternitatis Andreaes als einen Scherz.