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Historicity and Historiography. Early Modern Cultural Transfers

Workshop des Teilprojekts C06 „Transfer und Überlagerung. Wissenskonfigurationen in der Zeit der griechischen homines novi im Osmanischen Reich (1641-1730)“, 6./7. Dezember 2013

19.07.2014

Poster

Posterausschnitt

Bericht von Nikolas Pissis
 

Der Workshop ordnete sich in die Reihe der thematisch konzipierten Treffen des Teilprojekts ein, die sich an den jeweiligen Wissensbereichen, gedacht als „Regale“ oder „Schubladen“ der Mavrokordati-Bibliothek orientieren. Gegenstand dieses Workshops war das historische Wissen, die Historiographie, wenn auch noch nicht als eigenständiger Wissensbereich, so doch als Teil der frühneuzeitlichen Geschichtskultur. Es wurde versucht, die unterschiedlichen Traditionsstränge und Erscheinungsformen von Historizität und Historiographie, die in der Bibliothek der Mavrokordati neben- und miteinander existierten und ihre Lektüren und Schriften mitgestalteten, in einer möglichst umfassenden Gesamtschau zusammenzuführen und nach bestimmten Fragestellungen zu verhandeln. Die Pluralität der frühneuzeitlichen Zeitvorstellungen und Geschichtsdiskurse, die politische, soziale und kulturelle Funktion der Historiographie, die Transferbewegungen zwischen Sprachen, Konfessionen, Medien und Gattungen standen dabei im Mittelpunkt. Ausgegangen wurde von der Vorstellung eines frühneuzeitlichen Europa, welches das Osmanische Reich und seine tributpflichtigen Fürstentümer der Walachei, der Moldau und der Krim einschließt, eine Vorstellung, die sich auf die Lebenswelt der Mavrokordati und ihres Kreises stützte, und in der Diskussion als tragfähig erwies.

Andrei Pippidi (Universität Bukarest) eröffnete den Workshop mit einem problemorientierten Überblick über die Geschichtsschreibung im Fürstentum Moldau in der Zeit der Phanarioten (“Form, Style and Meaning in the Phanariot Historiography of Moldavia”). In den Vordergrund stellte er den funktionalen Charakter der Hofhistoriographie in ihrer Verwicklung in die dynastischen Machtkämpfe und betonte, dass sie daher eher auf die praktische Wissensvermittlung oder die Legitimation des jeweiligen Fürsten und seiner Entourage ausgerichtet war (nicht anders im Fall der Chronisten am Hof von Nikolaos Mavrokordatos), als auf die Rezeption und Anwendung von innovativen Geschichtsmodellen.

Anschließend befasste sich Baki Tezcan (UC Davis University of California) in seinem Beitrag (“Ibrahim Müteferrika and the Beginnings of the Making of an Ottoman Historical Canon”) mit der Schlüsselfigur des Ibrahim Müteferrika, eines Zeitgenossen der Mavrokoradati, dessen Name in erster Linie mit den Anfängen des osmanischen Druckwesens verbunden ist. Der programmatische Transfer von zeitgenössischem europäischen Wissen in das Osmanische Reich, dem sich der Konvertit aus Siebenbürgen verpflichtet sah, betraf vordergründig technologisches, praktisch verwertbares Wissen, das den technischen, besonders militärischen, Rückstand der Osmanen gegenüber ihren christlichen Gegnern abhelfen sollte. Im Bereich der Historiographie zeigte er sich konservativer, dabei trug er mit den Geschichtswerken, die er drucken ließ, zur Konstituierung eines offiziellen historischen Kanons gemäß dem Selbstverständnis der osmanischen Dynastie und der herrschenden Eliten, die den osmanischen Geschichtsdiskurs zu monopolisieren suchten.

Kostas Gaganakis (Universität Athen) thematisierte die Wiederbelebung der Gattung der Kirchengeschichte im Zusammenhang der nachreformatorischen Debatten unter Hugenotten und Katholiken in Frankreich (“Historia humana, Historia sacra: An ongoing French Debate, 16th-17th Centuries”). Am Beispiel des einzigartigen Werks von Lancelot Voisin de la Popelinière, das für eine ausgesprochen säkulare, kritisch argumentierende Geschichtskonzeption als historia humana stand und sich vom Vorbild der kalvinistischen historia sacra etwa Théodor Beza’s abhob, zeigte er, dass wir es nicht mit einem linearen, progressiven Evolutionsschema zu tun haben. La Popelinières Geschichtswerk wurde in der Folgezeit einerseits von den Kalvinisten selbst verurteilt und andererseits von der offiziellen Hofhistoriographie der Bourbonen und Bossuet’s Version der historia sacra verdrängt, ohne eine kritische Wende einleiten zu können.

Jan Marco Sawilla (Universität Konstanz) ging in seinem Vortrag (“When Old Things became Historical – Reflections on the Emergence of Antiquarianism”) der Frage nach, wie im Zuge des frühneuzeitlichen Antiquarianismus „alte Dinge“ (Handschriften, Münzen, Artfeakte) aufgrund ihrer Altertümlichkeit zu autoritativen „Monumenten“ und „Denkmälern“ verwandelt wurden. In Abgrenzung von Arnaldo Momiglianos Definition des Antiquarianismus als grundsätzlich von der eigentlichen Historie getrennt, plädierte er für die Heterogenität und Dynamik des Antiquarianismus und für seine Einordnung zum einen in die Praktiken und Verkehrsformen der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeit und zum anderen in den breiteren Zusammenhang einer epistemischen Verschiebung, eines Wissenswandels, der die Historie von einer Gegenwartsgeschichte zu einer genuinen Vergangenheitsgeschichte umformte.

Denise Klein (Universität Konstanz) präsentierte den Fall des Krimchanats unter der zentralen Fragestellung von der Bedeutung und der Qualität von Wahrheitsvorstellungen in der Geschichtsschreibung der Krimtataren (“Why Write History? The Case of Crimea, 16th to 18th Century”). Indem sie eine Vielzahl von edierten oder bislang unerschlossenen Chroniken diskutierte, arbeitete sie besonders die Transferbewegungen zwischen der osmanischen Geschichtsschreibung bzw. paränetischen Literatur und der krimtatarischen Chronistik heraus. Während ihre funktionale Bedeutung für die Herrschaftslegitimation in Zentrum und Peripherie vergleichbar ist, etwa im Fall der Geschichte des Chans Mehmed Giray, weisen die Anleihen aus den osmanischen Vorbildern und ihre Rekontextualisierung auf einen selektiven Transfer hin, der dem spezifischen lokalen Kontext des Krimchanats mit der Dominanz der mündlichen Wissensvermittlung (Chroniken dienten meist als Vorlagen zu einer mündlichen Performanz) und der schwächer ausgeprägten Kluft zwischen gelehrter und populärer Kultur, Rechnung trug.

Die Transferbewegungen zwischen katholischer und orthodoxer Kirchengeschichtsschreibung an der Wende zum 18. Jahrhundert spürte Kostas Sarris (FU Berlin, SFB 980) in seinem Beitrag nach (“Ecclesiastical History or Historia Sacra? Genre(s) in Motion on the Verge of 17th-18th Centuries”). Anhand der Geschichtswerke der Patriarchen Nektarios von Jerusalem und Dositheos von Jerusalem untersuchte er Varianten und Formen der Aneignung und Anwendung der Historia sacra aus dem Kontext der Katholischen Reform in die orthodoxe Kirchengeschichte im Zuge der kontroverstheologischen Debatten und kirchenpolitischen Streitigkeiten. Am Beispiel des Metropoliten Meletios von Athen beschrieb er den Versuch, das Vorbild der Historia als Leitkategorie der frühneuzeitlichen Wissenssystematik in Anlehnung an die französische Kirchengeschichte in die eigene Kirchengeschichte einzuführen und für das umfassende Programm einer Neuordnung von Tradition und Erinnerungskultur der Orthodoxen Kirche fruchtbar zu machen.  

Ioannis Kyriakantonakis (Zentrum für Kleinasiatische Studien, Athen) widmete sich zentralen Konzepten und Begriffen im historischen und kontroverstheologischen Werk von orthodoxen Kirchenmännern des 17. Jahrhunderts, wie Nektarios von Jerusalem (“Scholarship and Justification. Components of Historical Discourse in Early Modern Orthodoxy”). Er wies auf den beschränkten analytischen Wert von Polarisierungen und Dichotomien zwischen „traditionellen“ und „modernen“ Elementen, wenn es darum geht diese Texte und ihre Autoren einzuordnen und machte sich für einen flexiblen und materialangemessenen Umgang mit ihrer Begrifflichkeit stark.

Die einzelnen Beiträge bezeugten die Vielfalt der Geschichtsdiskurse in der Frühen Neuzeit und ihre Heterogenität zumal in unterschiedlichen politischen und kulturellen Kontexten. Zugleich zeichneten sich in den Vorträgen bestimmte gemeinsame Nenner, etwa der funktionale Charakter der Historiographie, in erster Linie in ihrem Legitimationspotential für den Fürsten, die Dynastie, die herrschende Elite oder für Kirche und Konfession. Dieser funktionale Aspekt bedingte die diversen Transferbewegungen und ihre Erscheinungsformen, die im Mittelpunkt der ausgiebigen Diskussion standen. Die Absage an teleologische und dichotomische Modelle in der Frage nach der spezifischen Historizität frühneuzeitlicher Gelehrtenkulturen, wie jene der frühen Phanarioten, stellte einen weiteren Konsenspunkt im Workshop dar, die einzelnen Fallbeispiele wurden unterschiedlich bewertet. Insgesamt erwies sich der Versuch, den historiographischen Horizont der Mavrokordati zu rekonstruieren und Fachleute aus verschiedenen Bereichen der frühneuzeitlichen Historiographieforschung zusammenzuführen und anhand der Fragestellungen des Teilprojekts ins Gespräch miteinander zu bringen, als in mehrfacher Hinsicht gewinnbringend.

Englischsprachige Abstracts zu den einzelnen Vorträgen sind unter den Workshops des Teilprojekts abrufbar.