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Workshop 3: Epistemic Networks

29.06.2018 | 09:30 - 12:00

im Rahmen der Jahrestagung "Wissensoikonomien – Ordnung und Transgression in vormodernen Kulturen"
   

Wissensbestände können auf ganz unterschiedliche Weise in Bewegung geraten und neue Strukturierungen erfahren: So kann ein Text durch eine Folge von Kopierpraktiken überliefert werden. Dabei können die einzelnen Kopisten entweder nur auf eine Vorlage oder aber auf zwei oder mehrere Vorlagen zurückgreifen; wenn letzteres der Fall ist, dann sprechen wir von Kontaminationen. Dieser Ausdruck erfasst das, was geschieht, aber nur unzureichend. Treffender könnte man von einem reziproken Austausch und einer Dynamik zwischen den Handschriftenindividuen sprechen, die durch die Reisen der Handschriften und den Kopierauftrag in Gang gesetzt wurden und die ihre Fortsetzung in den weiteren Reisen der alten und neuen Codices finden. Wissen wird von einem Gelehrten zu dem anderen transferiert, die einzelne Handschrift erhält neue Randnotizen und wird durch neue Lesarten und Erklärungen ergänzt oder aber auch durch Durchstreichungen von alten Lesarten „befreit“, und dadurch immer auch umgeschrieben und mit einem neuen Text (z.B. einer Aristotelischen Schrift) auf die weiteren Reisen geschickt und für weitere Lektüren neu konstituiert. Hier sind viele Akteure und Faktoren beteiligt – vom Pergament oder Papier über den Auftraggeber, die Wahl der Reiseroute, die Anzahl der zusammengeführten Textzeugen, die Techniken der Schreiberschule, die intendierten Leser und Besitzer der Handschrift usw. – deren komplexes Miteinander durch eine Analyse der wissensgeschichtlichen Prozesse und Wechselwirkungen beschrieben werden kann.

Auch in anderen Wissenssituationen und Situationen der Wissenstradierung ist eine Pluralität an Faktoren und Protagonisten aktiv: Zum Beispiel in frühneuzeitlichen Sprachlernbüchern, in denen Aspekte wie die didaktische Aufbereitung, der Wissensstand des Autors eines Sprachlehrbuchs, seine eigene Lektüreerfahrungen und Begegnungen, die Zielsetzung und das Zielpublikum des Werks oder natürlich auch die Zielsprache, in die eine Übersetzung erfolgt, miteinander interagieren.

Auch gedruckte Bücher eines Werkes oder eines Autors können ebenso dynamische Wissensträger sein, indem sie ein Wissen in eine neue Bibliothek an einem neuen Standort bringen oder indem sie Teil einer neuen Ordnung in einer Bibliothek werden und nun gemeinsam mit anderen, neuen Texten gelesen werden oder indem sie durch Lesernotizen mit den Leseerfahrungen und Leseinteressen ihrer Nutzer verbunden werden, oder indem sie mit einem neuen Deckblatt versehen oder mit anderen, neuen Traktaten und Werken gemeinsam zu einem Band zusammengebunden werden.

In dem Workshop soll mit informationstechnologischer Unterstützung gezeigt werden, dass Multidirektionalitäten dieser Art sehr oft als Charakteristikum eines Wissenstransfers identifiziert werden können. Dabei dient die Informationsinfrastruktur, die eigens für die beteiligten Projekte entwickelt wurde, nicht nur der Repräsentation dieser Multidirektionalität. Vielmehr werden bei dem Workshop auch Tools präsentiert, die mit dem Ziel entwickelt worden sind, die Multidirektionalität überhaupt erst aufzuspüren und nachzuweisen. Ebenso werden Tools gezeigt, die verschiedene Einflussfaktoren auf eine Neustrukturierung und Neukontextualisierung von Wissen abbilden können.

Damit leistet der Workshop zugleich auch einen Beitrag zur Methodendiskussion in den Digital Humanities und bietet Antworten auf die Frage, welche Modelle es für eine für beide Seiten fruchtbare Methodenkomplementarität zwischen historischen qualitativ arbeitenden Geisteswissenschaften – die beteiligten Projekte kommen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen: der Klassischen Philologie, Ägyptologie, Neogräzistik und Germanistik – und den Computerwissenschaften geben kann.

Wir freuen uns über Anmeldungen zum Workshop per E-Mail an krewet@zedat.fu-berlin.de.
   

Weitere Informationen

Konzept: Gyburg Uhlmann, Germaine Götzelmann, Philipp Hegel, Michael Krewet, Sibylle Söring und Danah Tonne

Der Workshop findet in englischer Sprache statt.