Springe direkt zu Inhalt

Der Grüne Caesar

Der Grüne Caesar

Der Grüne Caesar
Bildquelle: Martina Hoffmann

– Transkript –

    

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Heute führt uns eine grüne Caesar-Büste im Alten Museum in Berlin zu den großen und kleinen Geschichten, die sich um den römischen Imperator ranken, und auf die Pfade wandernder Anekdoten. Woher wissen wir, wie Caesar ausgesehen hat und was er für ein Mensch war? Aus welchen Quellen ziehen wir unser Wissen? Und … was ist denn da am Strand los?

Sprecher (gel. von Jan Fusek)
Ein schlechtes Zeichen.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Mein Name ist Sophie Ruch und Sie hören:

(Jingle) Hinter den Dingen. 5000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören
„Der Grüne Caesar“

 
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

EINS. GRANDLS APFELSAFT

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Wenn wir den Namen Caesar hören, haben wir sofort ein Bild vor Augen. Für diese Folge von „Hinter den Dingen“ wollten wir herausfinden, woher unsere Vorstellung von Caesar eigentlich stammt, und welche Rolle dabei die Anekdoten spielen, die zu seinem Leben überliefert wurden. Deshalb trafen wir uns mit dem promovierten Latinisten Matthias Grandl im Studio zum Gespräch. Schnell stellten wir fest, dass er beim Reden klickte. Ein leises Schmatzgeräusch war auf der Aufnahme zu hören.

Matthias Grandl
Mein Name ist Matthias Grandl. Ich arbeite als wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB „Episteme in Bewegung“.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Dagegen hilft in der Regel ein Schluck Wasser.

Matthias Grandl
Ja, ich bin auch überhaupt kein Wassertrinker, weil es mich wahrscheinlich trockener macht. – Vielleicht brauche ich doch die ganze Flasche.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Der Kampf gegen das Klicken schien aussichtslos, als Matthias Grandl diese Worte sprach.

Matthias Grandl
Ich hab Apfelsaft dabei.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Er schlürfte, schluckte und sprach:

Matthias Grandl
Besonders interessant ist, dass es zu Caesar einen festen Kanon von kleinen Geschichten, von Anekdoten gibt, die eben diese 2000 Jahre, mehr als 2000 Jahre, überstanden haben, ja, die immer wieder auftauchen – sei es in modernen Caesar-Biographien, sei es in Adaptionen des Caesar-Stoffs im 21., im 20., im 19. Jahrhundert – und dass diese Anekdoten, gerade weil sie einen festen Kanon bilden, extrem wichtig sind, was das Wissen über Caesar betrifft.

 
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

ZWEI. ICH WARF DEN WÜRFEL, SAH UND STARB DURCH MEINEN SOHN BRUTUS

Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)
Die Würfel sind gefallen!
Ich kam, sah und siegte!
Auch du, mein Sohn!

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Caesar am Rubikon, Caesar als siegreicher Feldherr nach der Schlacht und Caesar als Opfer des tödlichen Attentats an den Iden des März. Drei ikonische Szenen aus dem Leben Caesars, die sprichwörtlich geworden sind. Doch wer reitet da eigentlich über den Rubikon? Ist das Caesar, wie wir ihn aus Asterix-Heften kennen – hager, mit scharfkantigem Gesicht, weißem Haar und immer mit einem Lorbeerkranz auf dem Kopf? Und was für eine Person verbirgt sich hinter diesem Caesar? Ein genialer Militärstratege? Ein brutaler Feldherr? Ein enttäuschter Ziehvater?

  
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

DREI. GRÜN BIN ICH, DER CAESAR

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Die wohl berühmteste und zugleich ergiebigste Quelle, um zum Beispiel etwas über Caesars äußere Erscheinung zu erfahren, sind die Kaiserviten des römischen Autors Sueton. Diese antike Sammlung von Lebensgeschichten römischer Kaiser ist etwa 160 Jahre nach Caesars Tod entstanden – also um das Jahr 120 n. Chr. Die erste darin enthaltene Biografie zeichnet das Leben von Julius Caesar nach.

Sueton (gel. von Katharina Kwaschik)
Es heißt, Caesar sei groß gewesen, habe einen hellen Teint, zarte Arme und Beine, ein ziemlich rundes Gesicht und schwarze, lebhafte Augen gehabt. Er soll von guter Gesundheit gewesen sein; nur in der allerletzten Zeit seines Lebens passierte es regelmäßig, dass er plötzlich das Bewusstsein verlor oder er im Schlaf erschrak. Auch einen epileptischen Anfall hatte er zweimal mitten in seinen Beschäftigungen. Was seine Körperpflege betraf, war er ziemlich pingelig. So stutzte und schnitt er seine Haare nicht nur sorgfältig, sondern zupfte sie sich auch aus, wie einige bekrittelten. Ganz besonders zu schaffen machte ihm dabei seine unschöne Glatze; nicht selten war sie das Ziel des Gespötts seiner Feinde, wie er bitter erfahren musste.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Im Alten Museum in Berlin ist eine weltberühmte Caesar-Büste ausgestellt – der „Grüne Caesar“. Wir sind also ins Museum aufgebrochen, um ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten und Suetons Beschreibung mit dem dort ausgestellten Caesar abzugleichen.

Martin Maischberger
Im Falle der Caesar-Beschreibung bei Sueton und dem, was wir an Münzbildern und an dreidimensionalen Bildern vor uns haben, geht es ganz gut auf. Also da gibt es keinen größeren Widerspruch zwischen dem, was man bei Sueton liest und was man etwa von anonymen Künstlern, also die wir jetzt heute nicht mehr benennen können, dreidimensional vor uns sehen.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
… sagte uns in seinem Büro im Erdgeschoss des Alten Museums Dr. Martin Maischberger. Er ist Amtierender Direktor der Antikensammlung auf der Berliner Museumsinsel, zu der die Caesar-Büste gehört.

Martin Maischberger
Wir sehen einen etwa lebensgroßen Kopf vor uns, erkennbar nach links gewendet – das gibt ihm eine gewisse Energie, das gibt ihm eine gewisse Dynamik, die über ein rein statisches, in einer Zentralachse angelegtes Bildnis deutlich hinausgeht. Der Kopf ist insgesamt aufgrund seines Materials sehr dunkel in der Erscheinung, dunkel und gleichzeitig glatt poliert. Das wirkt dann an vielen Stellen doch wieder glänzend, beinahe schon eben dann aus dem Gestein herauswachsend, also fast wie metallisch. Sehr pointiert hat der uns unbekannte Bildhauer die Bereiche im Gesicht modelliert, die dann die Alterszüge einerseits und die Tatkraft andererseits des Dargestellten verkörpern sollen. Wir haben recht tief liegende Augen in nicht sonderlich fleischigen Augenhöhlen. Die Stirn ist auch eher hart wiedergegeben, die Knochen scheinen hervor an der Stirn. Es gibt Falten, die sich horizontal über diese Stirn hinwegziehen. Es gibt Falten, die dann den Übergang zur Nasenwurzel kennzeichnen, wie überhaupt die Nase sehr schmal gestaltet ist, beinahe schon, ja, man könnte fast schon sagen, etwas spöttisch dann dadurch wirken kann. Beim Mund haben wir sehr schmale, aufeinandergepresste Lippen vor uns. Also da ist keine Lockerheit, keine Entspannung zu sehen, sondern tatsächlich eher Anspannung, die auch zu Recht, denke ich, gedeutet wurde als Ausdruck eines tatkräftigen, auch energischen, vielleicht zuweilen auch brutalen Mannes, der tatsächlich ja in seinen Kriegszügen unter Beweis gestellt hat, dass er zuweilen nicht zimperlich umging mit den Besiegten. Gleichzeitig aber eines verantwortungsvollen Menschen, der fast schon sorgenvoll blickt. Wobei der Blick natürlich jetzt durch die modern eingelegten Augen etwas uns auf die falsche Spur führen könnte. Gleichwohl würde auch in der Antike der Blick sich jetzt nicht ganz grundsätzlich anders dargestellt haben, vielleicht mit Augen aus anderem Material, etwa aus Glasfluss, Bernstein oder so etwas.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Die Augen aus weißem Marmor wurden erst in einem der letzten Jahrhunderte eingefügt und ersetzten die wohl fehlenden antiken Augeneinlagen. Die Büste, die ungefähr ein halbes Jahrhundert nach Caesars Tod erschaffen wurde, trägt den Namen „Grüner Caesar“, weil sie aus einem besonderen, grünen Stein gearbeitet ist.

Martin Maischberger
Das ist ein seltener, auch in der Antike schon als äußerst kostbarer, exklusiver Stein zu sehen, der zu der Familie Hartgesteine, der vulkanischen Hartgesteine gehört, in der Wüste Ägyptens zwischen Niltal und Rotem Meer gebrochen, und über die gesamte Dauer der Antike hinweg eigentlich nur besonderen Kunstvorhaben vorbehalten. Man spricht eigentlich schon fast von einer Art imperialem Stein. Man nennt ihn geologisch exakt Basanit. In der archäologischen Fachliteratur hat sich dafür ein anderer Begriff eingebürgert – Basalt – der aber sehr allgemein, unspezifisch, eigentlich auch sogar etwas inkorrekt ist.

  
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

VIER. DES PUDELS GENERISCHER KERN

Matthias Grandl
Was eine Anekdote ist, glaube ich, haben wir alle in gewisser Weise eine Vorstellung. Das ist auch das Problem, das ich habe mit der Anekdote in der Wissenschaft, in der Forschung. Wir meinen, die Anekdote alle zu kennen. Jeder hat schon mal eine Anekdote erzählt aus seinem Leben. Meistens ist es – relativ einfach definiert – einfach eine Erzählung über mich selbst oder eine andere Person mit einem verblüffenden Detail, mit einem besonderen Ausspruch. Wenn ich mich mit der antiken Anekdote beschäftige, mit der Anekdote in geschriebener Fassung, in Texten, dann werde ich das genauer definieren müssen. Die Forschung hat dazu ein dreigliedriges Schema entworfen.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Es besteht zunächst aus der occasio: Die occasio ist das Setting oder der Schauplatz, an dem sich zwei Personen begegnen. Darauf folgt die provocatio. Darunter versteht man eine Provokation, eine Verkomplizierung der Situation, eine Herausforderung für die beteiligten Personen. Die Anekdote endet schließlich mit dem dictum, also der Pointe. Diese Pointe besteht aus einem Ausspruch, der anschließend berühmt geworden ist. Schauen wir uns das einmal genauer an: Sueton überliefert eine Anekdote aus den letzten Lebensstunden von Caesar. Darin begegnet Caesar dem Seher Spurinna, der ihn vor den Iden des März – also dem 15. März – gewarnt hatte.

Sueton (gel. von Katharina Kwaschik)
Nachdem mehrere Opfertiere geschlachtet worden waren und obwohl keines einen günstigen Ausgang versprach, betrat Caesar dennoch die Kurie. Keinerlei religiöse Bedenken hatte er, als er Spurinna verspottete und ihm eine falsche Vorhersage vorwarf, da die Iden des März längst da seien, ohne dass sie ihm geschadet hätten. Spurinna indessen sagte, sie seien freilich gekommen, vorbei seien sie aber noch nicht!

Matthias Grandl
Nehmen wir diese Caesar Anekdote, die sehr streng formal gebaut ist. Wir sehen gleich zu Beginn die occasio der Anekdote, also den ersten Teil: Caesar geht in die Kurie – intruit curiam – und trifft dort auf Spurinna. Wir kommen dann sehr schnell zur provocatio: Caesar verspottet Spurinna – im Lateinischen: irridens – er lacht ihn sozusagen aus und sagt zu ihm, dass die Iden des März gekommen seien. Und wir kommen dann zur Auflösung der Pointe, zum dictum, des Spurinna: Sehr wohl – also er gibt Caesar Recht an dieser Stelle, das ist raffiniert gemacht, – sehr wohl die Iden des März sind gekommen, aber sie sind eben noch nicht vorbei.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Eine Anekdote muss aber nicht unbedingt diesem strengen Formschema folgen, sondern sie kann auch allein auf einem inhaltlichen Moment beruhen – beispielsweise einer besonders einprägsamen Geste.

Matthias Grandl
Die Kunst ist es, die formal und die inhaltlich definierte Anekdote in einem gemeinsamen Punkt zusammenzudenken. Das geht am besten, wenn man sich die Wirkung der Anekdote ansieht. Die formal gebaute Pointe oder das inhaltlich verblüffende Detail, die überraschende Geste, werden auf uns wirken in einer ähnlichen Weise. Wir sind verblüfft, wir sind angenehm ertappt, wir hätten nicht mit so einer Art von Reaktion oder so einem kompromittierenden Detail gerechnet. Das ist eben das, was ihren Wesenskern auch ausmacht.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Durch die Überraschung und Irritation setzt sich die Anekdote in unserem Gedächtnis fest.

Matthias Grandl
Diese Memorabilität der Anekdote – also die Tatsache, dass ich mir die sehr schnell und einfach merken kann – ist für unser Projekt wichtig, weil ich daran eben auch feststellen kann, dass die Anekdote durch diese Memorabilität zu wandern beginnt und sich da auch zu wandeln beginnt. Sie wird oft wiedererzählt. Sie wird von Autor zu Autor weitergereicht, sodass wir eben sogar noch Bögen von Caesars Leben bis ins 21. Jahrhundert schlagen können.

  
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

FÜNF. ICH KAM, FIEL HIN UND SIEGTE TROTZDEM

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Anekdoten wandern von Autor zu Autor, von Epoche zu Epoche – eben, weil sie sich gut erinnern lassen und gern weitererzählt werden. Dabei ist es unausweichlich, dass sich das Wissen, das in der Anekdote verhandelt wird, verändert.

Matthias Grandl
Sie wandern von der Schriftlichkeit in die Mündlichkeit. Und sie wandern sogar manchmal von Person zu Person. Das nennt die Forschung dann Wanderanekdote. Das heißt, sie verliert ihren ursprünglichen, personalisierten Protagonisten, beispielsweise Caesar, und wandert zu einem anderen großen Politiker oder Feldherrn. Ein Beispiel für die Wanderanekdote ließe sich am besten spontan erfinden. Nehmen wir die recht amüsante Caesar-Anekdote von der Landung Caesars in Afrika.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Er entsteigt dem Boot, strauchelt und fällt mit dem Gesicht in den Sand.

Sprecher (gel. von Jan Fusek)
Ein schlechtes Zeichen.

Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)
Ich halte dich in Händen, Afrika!

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Sueton berichtet hier davon, wie Caesar verbal gekonnt auf seine missliche Lage reagiert und sie erfolgreich ins Positive wendet, indem er aus seinem Sturz eine Eroberungsgeste macht.

Matthias Grandl
Ich kann diese Geschichte meinetwegen auch von einem Kolumbus erzählen, der in Amerika ankommt, vom Schiff stolpert und Amerika in Händen hält, oder auch von Napoleon erzählen, der an der Memel steht und seinen Russlandfeldzug beginnt. Da könnte ich dann eben von so spezifischen Entdecker-, Feldherrenanekdoten sprechen, und das ist die genuine Wanderanekdote. Eine Anekdote, die im Kern die Geste, das Geschehen, das dictum beibehält und dann von verschiedenen Personen erzählt wird, erzählbar wird.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Eine Anekdote kann also zu einer zeitlosen „Feldherrenanekdote“ werden, die sich beliebigen Eroberern andichten lässt. Hier zeichnet sich eine verblüffende Parallele im Hinblick auf die Büste des „Grünen Caesars“ ab: So wie sich Anekdoten auf andere Personen übertragen lassen, zeigt der „Grüne Caesar“ Merkmale eines sogenannten „Zeitgesichts“. Darunter sind allgemeingültige Gesichtsmerkmale zu verstehen, die einer Person beispielsweise Macht und Würde verleihen und die sich in den Darstellungen vieler großer Politiker einer Zeit wiederfinden lassen. Das erschwert natürlich die Identifikation der Person, die in der Büste oder Skulptur nachgebildet ist, erheblich. Es kommt zu Fehlzuschreibungen wie Martin Maischberger sehr anschaulich am Beispiel des „Grünen Caesars“ zeigt:

Martin Maischberger
So kam es ja auch, dass dann noch der Vorbesitzer Friedrichs des Großen, nämlich der Sammler Julienne in Paris, noch davon ausging, dass es ein Cicero war, und als solchen auch dann an Friedrich II. verkaufte. Und diese Benennung galt dann auch noch lange Zeit, bis eigentlich erst im 19. Jahrhundert sich dann die heute noch gültige, von der Forschung bis auf wenige Ausnahmen akzeptierte Benennung, also Identifizierung, als Gaius Iulius Caesar bestätigt hat.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Von 1769 bis 1830 stand der „Grüne Caesar“ im Neuen Palais in Potsdam in der Bibliothek Friedrichs des Großen – als Cicero.

Martin Maischberger
Friedrich der Große hat ihn ja als Cicero gekauft und als Cicero aufgestellt und fand das natürlich dann in seiner Bibliothek besonders passend.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Dass die grüne Büste heute Caesar zugeschrieben wird, basiert auf den Erkenntnissen eines der ältesten archäologischen Spezialgebiete – der Porträtforschung. Sie vergleicht die Büsten und schriftlichen Darstellungen wie bspw. die von Sueton mit anderen Büsten, Statuen und Abbildungen auf Münzen. Dabei wird sie immer wieder mit der Problematik des Zeitgesichts konfrontiert: Sind die Krähenfüße an den Augen der Büste eine präzise und realistische Abbildung der Augenpartie Caesars? Oder ließ sich jeder mächtige Mann in dieser Zeit so darstellen? Um solche Fragen ringt die Porträtforschung. Die grüne Büste im Alten Museum weist durchaus Merkmale eines solchen Zeitgesichts auf. Wesentliche Details des Kopfes entsprechen dem Darstellungsideal seiner Entstehungszeit. Dennoch gibt es in der Forschung heute wenig Zweifel daran, dass es sich dabei um Caesar handelt.

Martin Maischberger
Bei Caesar spielt ganz entscheidend das Profil eine Rolle, weil die Münzbilder tatsächlich naturgemäß qua Medium nur die Profilansicht zeigen. Und tatsächlich ist die in der Seite gegebene Silhouette, wie sich einerseits die Nase darstellt im Verhältnis wiederum dann auch zum Übergang zur Stirn, aber auch die Gestaltung des Kinns, das dann doch etwas spitz zu benennen ist, ein ganz wesentliches Merkmal. Die in Kombination mit den Geheimratsecken jetzt dann doch schon so gedeutet werden kann. Auch dem nach vorne gekämmten, obwohl das ja wirklich ganz, ganz enganliegende, kleine Locken nur sind, so ist dann doch eben dieses Vom-Wirbel-nach-vorne-Gehende tatsächlich auch bei Caesar als ein Merkmal erkannt worden.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Auch Sueton enthüllt Caesars Kniffe, mit denen er die ungeliebten Geheimratsecken zu verdecken suchte:

Sueton (gel. von Katharina Kwaschik)
Deshalb hatte er es sich auch zur Gewohnheit gemacht, das schüttere Haar vom Zentrum des Kopfes her nach vorne zu streichen, und von allen Ehren, die ihm der Senat und das Volk zugesprochen hatten, akzeptierte – oder besser: riss – er keine andere lieber an sich als diejenige, die ihn berechtigte, einen Lorbeerkranz auf Lebenszeit zu tragen.

  
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

SECHS. REDEN IST SILBER, SCHREIBEN IST GOLD

Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)
Ich kam, sah und siegte?

Matthias Grandl
Eine der bekanntesten Anekdoten ist die mit dem Ausspruch Caesars „veni, vidi, vici – kam, sah und siegte“. Also wir stellen uns Caesar vor, wie er irgendwo ankommt, sich einen schnellen Überblick verschafft über eine Situation in der Schlacht und dann sofort gewinnt. Und als vierten Schritt dann, dass er eben diesen Spruch sofort danach loslässt. Wenn wir Sueton und Plutarch uns ansehen, ist das ein bisschen anders gemacht. Wir finden da nämlich eine Schriftlichkeit der Anekdote vor. Also wir sehen Caesar nie diese Anekdote sprechen. So lesen wir bei Sueton, dass dieses „veni, vidi, vici“ auf einem Schild steht im Rahmen eines Triumphzugs.

Sueton (gel. von Katharina Kwaschik)
Zur Abenddämmerung stieg er dann zum Kapitol hinauf; rechts und links von ihm trugen 40 Elefanten Leuchter. Beim „Pontischen Triumph“ zeigte er in Mitten der Wagen der Prozession eine Aufschrift mit ganzen drei Worten, nämlich: „Kam, sah, siegte“ – und das sollte nicht wie sonst bedeuten, dass der Krieg gewonnen war, sondern vor allem, dass er blitzschnell gewonnen worden war.

Matthias Grandl
… ein „pontischer Triumph“ – also ein Triumph, der mit einem Land zu tun hat, das ganz im Osten des Reichs liegt. Also wir erfahren nicht, welche Schlacht das war, welche Situation das genau war. Mag daran liegen, dass eben der Spruch so bekannt war, dass jeder wusste, in welcher Situation das gesprochen wurde. Wir finden es aber eben aufgeschrieben und nicht von Caesar gesprochen. Ebenso bei Plutarch.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Der antike griechische Autor Plutarch verfasste ebenfalls eine Caesar-Biografie, und zwar wohl schon einige Jahre vor Sueton. Wie Sueton gilt auch Plutarch als ein Erzähler, der in seinen Darstellungen gern und bewusst auf Anekdoten zurückgriff. So finden wir auch in seinen Schriften in griechischer Sprache die klassischen Caesar-Anekdoten – jedoch anders. Beispielsweise erfahren wir in der veni-vidi-vici-Anekdote, dass Caesar gegen König Pharnakes siegreich war. Plutarch schreibt weiter:

Plutarch (gel. von Katharina Kwaschik)
Unverzüglich führte Caesar da drei Einheiten gegen diesen Menschen ins Feld, schlug bei der Stadt Zela eine große Schlacht, vertrieb ihn aus Pontus und machte seinem Heer völlig den Garaus. Um von der Plötzlichkeit und Schnelligkeit dieser Kampfhandlung in Rom Bericht zu erstatten, schrieb er an einen seiner Freunde, nämlich Matius, genau folgende drei Worte: „Kam, sah, siegte.“ Auf Latein haben diese drei Worte dieselbe Verbalendung und zudem eine bestechende Kürze.

Matthias Grandl
Plutarch ist hier etwas genauer historisch, er nennt die Schlacht bei Zela, aber wir finden diese Anekdote eben nicht in einer dramatischen Version, so wie sie vielleicht heute erzählt werden würde, sondern eben in einer geschriebenen Form. Das Spannende an dem Vergleich von Sueton und Plutarch und dem, wie wir uns die Anekdote heute vorstellen, ist, dass das dictum im Zentrum steht, der Ausspruch „veni, vidi, vici“, dass man diesen Ausspruch ganz unterschiedlich verwenden kann – sei es auf einem Schild geschrieben, sei es in einem Brief geschrieben. Das Spannende für uns ist, daran abzulesen, was in diesen Wanderungsbewegungen der Anekdote passiert.

  
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

SIEBEN. DIE GESCHICHTE MIT DER BANANE

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Wir trafen Melanie Möller, Professorin für Lateinische Philologie, in ihrem Büro in der Freien Universität Berlin. Uns interessierte der historische Ursprung der Anekdote, ihr Stellenwert in der Geschichtsschreibung, und was für ein Wissen Anekdoten vermitteln. Melanie Möller kam hungrig aus einer langen Sitzung. Auch hier blieb die provocatio nicht aus: Ihr Magen knurrte.

Melanie Möller
Ja, tut mir leid, das ist irgendwie … keine Zeit gehabt!

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Bis – mit Blick auf eine Banane – das rettende dictum fiel:

Melanie Möller
Genau, ich würde jetzt einfach nur so zwei, drei Mal reinbeißen … Zahlen sind auch total relativ.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Zugegeben, das war ein eher privates Detail. Abgesehen davon, dass wir erfahren haben, dass auch Professorinnen hungrig sein können, enthält es kein besonderes Wissen. Richtige Anekdoten hingegen …

Melanie Möller
Ja, sie erzählen Eigenschaften aus dem Privatleben von Leuten, die sie entweder bloßstellen oder als besondere Persönlichkeit kenntlich machen sollen. Kaiser Claudius wird immer gerne für seine Kontrollverluste über sein Fäkalsystem herangezogen, als Beispiel. Der ist überall, hat sich mehr oder weniger überall entleert. Das ist dann eher auch eine Tat, aber sie ist mit Aussprüchen garniert oder mit Selbstkommentierung oder Kommentierung anderer. Auf der anderen Seite, und das ist etwas weniger bekannt, werden tatsächlich auch große historische Ereignisse, dann aber eben auch Lehren, philosophische Thesen mit Anekdoten präsentiert oder auch gebrochen, gespiegelt.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Ein berühmtes Beispiel ist die Anekdote von der Begegnung des Philosophen Diogenes mit Alexander dem Großen. Hier trifft das Lehrgebäude der Philosophie von Diogenes auf die „große“ Geschichte des Welteroberers. Bevor Alexander zu einem weiteren Kriegszug aufbrach, machten ihm alle Fürsten und Philosophen in Korinth ihre Aufwartung. Nur Diogenes erschien nicht. Er blieb in seiner Tonne auf dem Platz, der Kraneion genannt wurde.

Plutarch (gel. von Katharina Kwaschik)
Da sich jener nicht im Geringsten für Alexander interessierte und auf dem Kraneion seine Mußestunden verbrachte, ging Alexander selbst zu ihm und erwischte ihn dabei, wie er sich gerade in der Sonne fläzte. Als sich ihm gleich mehrere Menschen näherten, da setzte er sich ein wenig auf und schaute Alexander pfeilgerade an. Dieser grüßte ihn, sprach ihn an und fragte, ob ihm gerade irgendetwas fehle. Darauf antwortete Diogenes: „Geh mir einfach ein bisschen aus der Sonne.“

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Die Bezeichnung „Anekdote“ für eine solche kurze pointierte Erzählung geht auf den griechischen Geschichtsschreiber Prokop zurück. Er verfasste im 6. Jahrhundert eine Schmähschrift über den Kaiser Justinian I., die unter dem Titel „anekdota“ erschien. Die Anekdote selbst ist aber schon deutlich älter. Sie wurde auch schon vor Prokop von Geschichtsschreibern gezielt eingesetzt. Man kann sagen …

Melanie Möller
… dass Anekdoten eigentlich immer schon da waren, da sind. Denn von Beginn an haben wir natürlich das Bedürfnis, Menschen als Akteure in den Mittelpunkt zu stellen von Geschichte. Das hat sich eigentlich auch bis heute nicht geändert, obwohl das häufig behauptet wird. Nun ist es in der Antike zunächst so, dass Biographisches und Historisches dann auch als Gattung sehr eng geführt werden. Das kann man also schlechterdings kaum trennen. Die Frage ist, ob das wirklich jemals dann geschehen ist. Also wir haben natürlich dann im 19. Jahrhundert die historisch-kritische Methode und gerade da dann große Kritik an solchen privaten Geschichten.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Wenn von „anekdotischer Evidenz“ die Rede ist, ist dies als Warnung davor zu verstehen, das in einer konkreten Situation erlangte Wissen zu verallgemeinern. Die Anekdote bezieht sich auf ein individuelles bemerkenswertes Ereignis. Sie triggert Aufmerksamkeit, dient lediglich der Überspitzung. Einer solch abschätzigen Sichtweise würde Sueton wohl widersprechen. Für ihn sind die Anekdoten ein ganz wesentlicher Bestandteil der Geschichte, die er erzählt.

Melanie Möller
Der bekennt sich natürlich unbedingt dazu, weil er auch ganz geschickt mit Autorität arbeitet und immer wieder behauptet, er habe Zugang zu Quellen, zu Archiven, zu Briefen, und schon deswegen sei das ja legitim, diese Geschichten, die dort vermerkt seien, auch einzubinden in die Darstellung. Aber der Erste, der das so ganz deutlich sagt, methodisch auch, ist eben nicht weit entfernt zeitlich – Plutarch, also auf griechischer Seite jetzt –, der dann als Erstes auch wirklich sagt, an einer solchen Begleiterscheinung, an einer Geschichte, an einem Ausspruch vor allen Dingen, aus dem Leben einer Person, lasse sich doch viel mehr über ihn und die Geschichte und über alles ablesen und begreifen, als an einer Tat und der Schilderung eines historischen Zusammenhangs. Also das ist methodisch das Bekenntnis schlechthin zur Anekdote und geht dann eben über Sueton weiter.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Im 19. Jahrhundert bezieht der Philosoph Friedrich Nietzsche Stellung zur Anekdote – und zwar explizit da, wo es nicht um Ereignisse oder Charaktereigenschaften von Menschen geht, sondern um ganze Denksysteme. Er sagt:

Melanie Möller
Drei Anekdoten reichen nicht etwa nur, um das Leben einer schillernden Persönlichkeit transparent zu machen, sondern um ihr ganzes Lehrgebäude, ihr ganzes Dogma zu vermitteln. Und da gibt es dann also von Plutarch bis zu Nietzsche eine gewisse Konstanz.

 
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

ACHT. STATUEN PFLASTERN MEINEN WEG

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Zu Caesars Tod gibt es umfangreiche antike Schilderungen. Diese sehr unterschiedlichen Erzählungen bestehen zumeist aus mehreren Aussprüchen und heben verschiedene Details hervor. Ein Element wurde konstant von Quelle zu Quelle weitergegeben – die Anzahl der Stiche, mit denen Caesar getötet worden sein soll: 23. Auch bei Sueton findet sich ein Schilderung des Attentats auf Caesar. Der Verschwörer Casca tat den ersten Stich.

Sueton (gel. von Katharina Kwaschik)
Darauf grabschte Caesar nach Cascas Arm, stieß ihm seinen Schreibstift hinein und versuchte wegzulaufen, doch wurde er von einem weiteren Stich ausgebremst. Als er bemerkte, dass man von allen Seiten mit gezückten Dolchen auf ihn losging, da zog er sich seine Toga über den Kopf und bedeckte sich zugleich mit Hilfe seiner linken Hand vom Schoß bis hinunter zu den Schienbeinen, um ehrenvoller zu fallen, war doch nun auch der untere Teil seines Körpers verhüllt. Und so wurde er von 23 Stichen durchlöchert. Beim ersten Stich hat er nur einen einzigen, wortlosen Stöhner von sich gegeben, auch wenn andere berichten, er soll zum auf ihn losstürzenden Marcus Brutus gesagt haben: „Auch du, mein Kind!?“ Als alle auseinanderstoben, blieb er noch einige Zeit leblos liegen, bis er schließlich auf eine Bahre gelegt und von drei Sklaven nach Hause getragen wurde. Ein Arm baumelte von der Bahre.

Matthias Grandl
Das Interessante für uns wieder, wenn wir uns nach der Geltung anekdotischen Wissens fragen, wie Autoren die Geltung von Anekdoten bewerten. Sueton sagt hier eindeutig: Das hat Caesar sicher nicht gesagt, er ist einfach stumm zu Boden gefallen. Dass das dictum in einer gewissen Weise so stark war, dass es diese Negation, die hier Sueton liefert, überlagert.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Vielleicht verdanken wir es paradoxerweise Sueton, dass der Ausspruch „Auch du, mein Kind!?“ in unserem Caesar-Bild so präsent ist. Obwohl er ihn in seiner Beschreibung kategorisch ablehnt, ist der Satz berühmt geworden. Auch wir haben ihn in dieser Podcast-Folge in Szene gesetzt. Hier zeigt sich eindrucksvoll, wie widerständig das Wissen sein kann, das geleugnet, negiert, herausgestrichen oder aus der Welt geschafft werden soll. Vergleichen wir diese Schilderung des Attentats auf Caesar mit der von Plutarch, zeigt sich, wie unterschiedlich die Ereignisse dargestellt und interpretiert werden. Bei Plutarch gleicht die Ermordung Caesars eher einer Schlachtung. Zu letzten Worten kommt es nicht. Nachdem der Stich am Hals gesetzt wurde, heißt es dort:

Plutarch (gel. von Katharina Kwaschik)
In einem Kreis wurde Caesar eingeschlossen und, wohin er auch seinen Blick wandte, begegnete er nur Stichen und gezückten Dolchen vor seinem Gesicht und seinen Augen; wie ein Tier wurde er abgeschlachtet, zwischen den Händen aller hin- und hergezerrt, und alle sollten am Opfer teilnehmen und vom Mord kosten. So hat ihm auch Brutus einen Stich zugefügt in der Leistengegend. Es heißt bei einigen Autoren, dass Caesar allen anderen Einhalt gebot und schreiend seinen Körper hin- und herwarf, doch in dem Moment, als er Brutus mit gezücktem Dolch sah, sich die Toga über den Kopf zog und sich selbst aufgab, und zwar – sei es, dass es der Zufall so wollte oder dass er von seinen Mördern dorthin gedrängt wurde – genau vor dem Sockel, auf dem eine Pompeius-Statue stand. Caesars Ermordung ließ Blut über diese Staute spritzen und das wirkte so, als ob Pompeius höchst selbst den Rachefeldzug gegen seinen früheren Feind anführte, der nun zu seinen Füßen lag und röchelte aufgrund der Menge seiner Wunden. 23 waren es, heißt es.

Matthias Grandl
Ein wieder anderes Detail, das uns Plutarch zeigt, macht uns klar, dass Autoren sehr stark in Anekdoten eingreifen. Dass sie in gewisser Weise wieder eine sehr offene Form ist, weil sie beliebig viele Details hinzunehmen kann. Wir haben das Setting, das gleich bleibt, wir haben Caesars Tod. Plutarch konstruiert das so, dass er Caesar unter einer Pompeius-Statue sterben lässt. Und das zeigt einen besonders starken Eingriff, weil wir alle wissen, dass Caesar natürlich für den Tod des Pompeius verantwortlich ist. Also es ist sozusagen genial konstruiert, dass Caesar eben an dieser Stelle so endet – unter Pompeius. Das finden wir nicht bei Sueton.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Caesar tot zu Pompeius’ Füßen. Ein äußerst kraftvolles Bild. Pompeius lebt quasi durch seine Statue weiter und triumphiert über Caesar.

Matthias Grandl
Statuen der Kaiser spielen eine durchaus große Rolle in Suetons Werk. Sie werden uns in jeder Kaiservita begegnen, so auch schon in der Caesar-Vita. Sie scheinen, das lesen wir bei Sueton, eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeit, aber auch im Privaten gespielt zu haben.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Die Kaiser verhandelten ihre politischen Programme und ihren Machtanspruch über Statuen, die sie im öffentlichen Raum aufstellen oder entfernen ließen.

Matthias Grandl
Das zeigt uns Sueton auch ganz gut. Caesar, der sich am Höhepunkt seiner Macht, eine Statue von sich selbst machen lässt und sich in die Reihe der Könige stellt als Statue. Die Statuen bei Sueton kommen immer wieder auch in anekdotischen Gefilden vor, wenn beispielsweise ein Caesar-Verehrer bei Sueton einer Caesar-Statue einen Lorbeerkranz aufsetzt. Sehr interessant ist dazu beispielsweise auch eine Erzählung im Zusammenhang mit einer Caesar-Statue in der nachfolgenden Vita, in der Augustus-Vita. Die Erzählung, dass Augustus den Kopf des Caesar-Mörders Brutus unter eine Caesar-Statue legt. Also auch sozusagen eine Überkreuzung von Statue und wirklichem Leben. Man kann hier wirklich bei Sueton von einem Interagieren von Statuen und den Geschichten sprechen.

  
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

NEUN. VOM HERRENZIRKEL ZUR VERGESELLSCHAFTUNG VON OST UND WEST

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Wo der „Grüne Caesar“ zur Zeit seiner Entstehung gestanden haben mag, darüber können wir heute nur spekulieren. Auffällig ist, dass die Büste von allen Seiten in gleich hoher Qualität gestaltet wurde – und das trotz des besonders harten und schwer zu bearbeitenden Materials. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass die Büste ursprünglich in der Mitte eines Raumes aufgestellt war.

Martin Maischberger
Wir verwenden ja heute gerne das Wort Objektbiografie, ein Ausdruck, der eigentlich wirklich erst in den letzten Jahren in die archäologische Forschung Eingang gefunden hat. Diese Objektbiografien versuchen, die Stücke, um die es geht, tatsächlich vom Zeitpunkt ihrer Entstehung bis zu ihrem allerletzten Verwendungs- und Aufstellungskontext zu rekonstruieren. Das gelingt naturgemäß für die jüngeren Phasen besser als für die älteren Phasen. Im Falle des „Grünen Caesar“ können wir schon den Vorbesitzer Friedrichs des Großen, also diesen Sammler Julienne in Paris, schon nur noch sehr schwer fassen und auch nicht mehr genau sagen, was eigentlich der Kontext in Paris gewesen sein mag; vermutlich ein Palais. Noch schwieriger wird es, den antiken Entstehungs- und Aufstellungskontext zu rekonstruieren. In der jüngsten Forschung ist die These ausgesprochen worden, dass das Objekt vielleicht in einem privaten Kontext, zum Beispiel einer Villa, aufgestellt gewesen sein mag. Das ist durchaus denkbar, und dafür gibt es auch Parallelen aus gut erhaltenen Kontexten, etwa aus den Vesuv-Stätten Pompeji und Herculaneum. Der „Grüne Caesar“ könnte theoretisch natürlich auch im Kontext eines öffentlichen Gebäudes präsentiert worden sein, auch dafür gäbe es Parallelen.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Dann ginge man davon aus, dass der „Grüne Caesar“ bereits in der Antike auf einem Sockel präsentiert wurde – so wie wir ihm heute im Alten Museum begegnen und wie er wahrscheinlich auch schon in der Bibliothek Friedrichs des Großen ausgestellt war.

Martin Maischberger
Nun hat aber eben auch die Forschung in der jüngsten Zeit eine doch sehr überraschende These formuliert, dass nämlich der Kopf nicht als für sich stehende Büste, wie wir sie heute sehen, gearbeitet war, sondern Teil eines sogenannten Hermenschaftes war. Hermenschäfte, wie es sie seit der archaisch-griechischen Zeit, also dem 6. Jh. v. Chr., gibt, die auch auf Plätzen, den Agorai etwa, aufgestellt waren und die aus einem rechteckigen Schaft bestehen, aus dem dann der Kopf herauswächst. Solche Hermenschäfte wurden eben in der griechischen Antike häufig auf den Plätzen im Freien aufgestellt. Im römischen Kontext waren sie sehr gerne in Villen anzutreffen, und zwar in Villengärten.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Im Alten Museum wird der „Grüne Caesar“ auf Augenhöhe vor einer roten Wand präsentiert. Man kann ihn von drei Seiten betrachten. Caesars leicht zur Seite gewendeter Blick fällt auf eine Marmorbüste der ägyptischen Königin Kleopatra.

Plutarch (gel. von Katharina Kwaschik)
Kleopatra hatte nur einen einzigen ihrer Freunde an ihrer Seite, nämlich Apollodor aus Sizilien, bestieg ein kleines Schiff und landete damit – es dämmerte bereits – im königlichen Palast. Weil es unmöglich war, auf andere Weise verborgen zu bleiben, schlüpfte sie in einen Sack und streckte sich auf allen vieren darin aus. Apollodor knotete den Sack mit einem Band zu und trug ihn zur Tür herein direkt zu Caesar. Es heißt, dass bereits dieser listige Einfall Kleopatras, dreist wie sie sich zeigte, Caesar im Sturm eroberte, aber auch ihre weitere Liaison und ihre Anmut machten ihn schwach.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Mit dieser Anekdote zeigt Plutarch, wie Kleopatra Caesar mit Raffinesse beeindruckte und durch ihre ungewöhnliche Tat seine Zuneigung gewann. Im Alten Museum wurde dieses Liebespaar der Antike nun kuratorisch vereint, „vergesellschaftet“, wie Martin Maischberger es ausdrückt.

Martin Maischberger
So wie wir heute bei uns im Alten Museum die Aufstellung des „Grünen Caesar“ als Paar mit Kleopatra VII. sehen, ist das natürlich eine von uns, den Entscheidern und Entscheiderinnen des Museumsteams, getroffene und auch sehr suggestive Entscheidung. Wir wissen ja nicht mit wem, mit welchen anderen Skulpturen der „Grüne Caesar“ in der Antike vergesellschaftet war. Wahrscheinlich waren es ausschließlich männliche Köpfe beziehungsweise Hermen. Da wir aber nun mal in der glücklichen Lage sind, in der Berliner Antikensammlung sowohl einen Caesar-Kopf als auch einen Kleopatra-Kopf zu besitzen, haben wir uns dazu entschlossen, dies zu tun. Im Übrigen war dies auch eine Entscheidung, die eine Anspielung war auf die Wiedervereinigung der beiden Teilsammlungen, die ja in der Nachkriegszeit in eine Westberliner Sammlung des Antiken Museum in Charlottenburg und eine Ostberliner auf der Museumsinsel getrennt waren. In der Zeit erst der Trennung wurde die Kleopatra durch West-Berlin angekauft, sodass dann erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands und der Museen überhaupt es möglich war, die beiden Köpfe zusammen zum ersten Mal aufzustellen, und das musste natürlich dann auch in der jüngsten, jetzt auch schon zehn Jahre alten, Ausstellung im Alten Museum gemacht werden.

Markus Söder
Die Würfel sind gefallen.

 
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

ZEHN. EIN KLEINER SCHRITT FÜR DEN WÜRFEL – EIN GROßER SCHRITT FÜR DIE MENSCHHEIT

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Der Rubikon ist ein kleines Flüsschen in Norditalien. Zu Caesars Zeiten markierte er die Grenze der Provinz. Wir erzählen die Geschichte heute so, dass Caesar den Rubikon überschritt und dabei sagte: Die Würfel sind gefallen.

Matthias Grandl
Hier lohnt es sich wieder in den Text zu schauen. Wir können das bei Sueton nachlesen in der Formulierung „Alea iacta esto“. Also es ist eigentlich nur ein Würfel gewesen. Er ist auch nicht gefallen, sondern „iacta“, er ist geworfen worden. Und eigentlich auch noch nicht worden – wir haben da eine imperativische Formulierung: „esto“ –, er soll geworfen werden. Caesar befindet sich in einem Moment, wo er die Würfel in die Luft wirft, und nicht weiß, wie es ausgeht. Caesar beginnt mit dieser Geste den Bürgerkrieg gegen Pompeius. Kein Mensch weiß zu dem Zeitpunkt, am wenigsten Caesar, wie diese Sache ausgeht.

Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)
Der Würfel wird geworfen worden sein werden?

Matthias Grandl
Wenn wir das mit unserer heutigen Vorstellung von diesem Spruch vergleichen, so finden wir darin vielleicht Caesar wieder, indem er etwas tut, das nicht mehr rückgängig zu machen ist, also es ist etwas passiert, wo es kein Zurück gibt. Wir sehen aber nicht die Komponente, dass etwas entschieden ist. Zuletzt kam mir das im Wahlkampf unter, der noch nicht allzu lange her ist. Ich habe das aus dem Mund von Markus Söder gehört.

Markus Söder
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Würfel sind gefallen. Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union.

Matthias Grandl
Wenn wir uns die Situation vorstellen, mit dem Hintergrund der Caesar-Anekdote, hat sozusagen sein Gegner, Armin Laschet, den Rubikon überschritten, und versucht, nach Berlin zu marschieren. Und Markus Söder hat eigentlich die Caesar-Rolle zugleich übernommen, indem er gesagt hat: „Die Würfel sind gefallen.“ Also eigentlich hätte das Armin Laschet sagen sollen. Wir haben hier so eine merkwürdige Aufsplittung dieser Caesar-Figur in zwei Personen. Also man hört dieses „Würfel sind gefallen“ wirklich in den wildesten Kombinationen.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Hier hat sich offensichtlich der berühmte Ausspruch, das dictum, von den Caesar-Biografien der Antike gelöst und ein Eigenleben entwickelt.

Matthias Grandl
Und wenn wir das mit dem heutigen Gebrauch des dictums vergleichen, dann sehen wir, dass wir sozusagen von einer Metamorphose der Anekdote, von einer Umwandlung der Anekdote in ein Sprichwort ausgehen können. Da haben wir es in gewisser Weise mit einem Wissensverlust zu tun.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Zugleich trägt diese Anekdote – auch wenn die moderne Benutzung des dictums als Sprichwort dies nicht mehr offenlegt – die „große“ Geschichte, wie sie in die Geschichtsschreibung eingegangen ist, in sich. Sie markiert den Beginn des Römischen Bürgerkriegs. Aber in welchem Verhältnis steht die „kleine“ Geschichte, das privaten Detail, zur „großen“ Geschichte? Gemeinhin werden sie als Gegensatzpaar definiert: die Anekdote als Gegengeschichte zur „offiziellen großen“ Geschichtsschreibung. Ist das so? – Zurück zu unserem kleinen Gespräch mit Melanie Möller.

Melanie Möller
Das gegeneinander auszuspielen ist, glaube ich, schwierig aufs Ganze gesehen. Ich glaube, das ist methodisch erst mal immer ganz gut. Aber in der Antike, wenn ich da zurückspringe, und natürlich auch später, gibt es schon auch – allein dadurch, dass man das Kleine eben so groß macht – das Bekenntnis dazu. Das ist nicht nur ein rhetorisches Bekenntnis, sondern eben auch bei dieser biographischen Geschichtsschreibung, dass dieses Bekenntnis zum Detail da immer sehr stark betont wurde und dass dann letztlich bei so jemandem wie Sueton eine ganze Menge solcher biographischer Details dann eine Kette bilden können, die dann Geschichte machen, statt vielleicht die großen Kriege oder Feldzüge oder was auch immer. Spielen dann auch eine Rolle, aber sind dann eher am Rand. Aber trotzdem würde ich dann sagen, es ist gut, erstmal so einen Bruch zu schaffen,  oder so einen Gap aufzuzeigen.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Es kann zunächst also tatsächlich fruchtbar sein, die „kleine“ Anekdoten-Geschichte von der „großen“ Geschichte zu trennen. So lassen sich die einzelnen Faktoren, Akteure, Handlungen und Narrative besser fassen.

Melanie Möller
Dann kann man aber im zweiten Schritt oder auf den zweiten Blick sehen, dass das sicher mit der Gegengeschichte im Sinne von Komplementarität gemeint ist. Das ist dann das, was wirklich passiert ist oder was hätte passieren können, wenn man den Blick auf die Nebenschauplätze lenkt. Die kann man dann letztlich so aufwerten oder immer wieder ins Verhältnis zum großen Ganzen setzen. Muss man ja letztlich auch, denn die Kleinen werden ja auch nicht sichtbar, wenn es nicht diesen großen Hintergrund gäbe, und umgekehrt. Insofern ist es vielleicht  die ja tatsächlich vernünftigere und logischere, argumentativ sicherere Variante, sich gleich zum Stellenwert von Anekdoten zu bekennen – als Gegenkonzept zu Geschichte nicht so sehr, sondern als Komplementärstück, würde ich sagen.

 
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

ELF. HERZLOS DURCH DIE ZEICHENDEUTUNG

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Kultische Opferhandlungen und Naturbeobachtungen sind häufig Gegenstand von Anekdoten. Darin lesen Priester und Zeichendeuter aus dem Verhalten von Tieren oder den Eingeweiden von Opfertieren Handlungsanweisungen heraus, die über Krieg und Frieden entscheiden konnten. Ein eindrückliches Beispiel für die enge Verbindung zwischen den „kleinen“ Begebenheiten und der „großen“ Geschichte. Zeichendeutung war in der Antike fest in politische Entscheidungsprozesse integriert und unerlässlicher Wegweiser für die kriegerische Strategie. Caesar hielt das, laut Sueton, nicht immer für sinnvoll.

Matthias Grandl
Eine ganze Reihe von Anekdoten befinden sich auf dem Diskursfeld der religio, also wenn es um Opfer und Zeichendeutungen im kultischen Bereich geht. Das scheint für die Caesar-Figur wichtig gewesen zu sein. Also wir haben neben der Spurinna-Anekdote eine ganze Reihe von Zeichen, die Caesar in einer gewissen Weise interpretiert, ignoriert, zu seinen Gunsten umdeutet. Ein weiteres Opferbeispiel bei Sueton ist die Geschichte von einem Tieropfer, bei dem das Herz fehlt.

Sueton (gel. von Katharina Kwaschik)
In seiner Arroganz ging er soweit, dass er, als ihm einmal ein Zeichendeuter unglücksverheißende Eingeweide eines Opfertiers ohne Herz meldete, darauf antwortete, die Zukunft bringe Besseres, solange er es nur wolle, und es sei überhaupt als kein Unglückszeichen zu deuten, wenn einem Opfertier das Herz fehle.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
An dieser Anekdote vom fehlenden Ochsenherz lässt sich schön zeigen, wie diese kleinen pointieren Erzähleinheiten auch in ganz andere Wissenskontexte wandern. Sie ist bereits um Caesars Tod – also deutlich bevor Sueton damit Caesars kritische Position zur religio zum Ausdruck bringt – bei Cicero nachzulesen. Bei ihm wird der Status der Anekdote als glaubwürdiges Beweismittel diskutiert und in Frage gestellt.

Matthias Grandl
In der Schrift „De divinatione“ –„Über die Weissagung“ – also da geht es darum, aus bestimmten Zeichen eben bestimmte Zukunftsvoraussetzungen abzulesen. Cicero ist an dieser Stelle sehr streng und spricht von einer Anekdote, die ein paar Elemente hat, die nicht sehr glaubwürdig sind, nämlich, dass eben einem Tier tatsächlich ein Herz fehle.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Etwa 70 Jahre später nimmt der römische Schriftsteller Valerius Maximus diese Fäden auf. In seiner Anekdotensammlung „Facta et dicta memorabilia“ entwickelt er ein eigenes Ordnungssystem, in dem er die zusammengetragenen Anekdoten systematisiert. Er ordnet die Anekdote, in der Caesar und der Seher Spurinna einander an den Iden des März begegnen, nicht – wie vielleicht zu erwarten wäre – der Rubrik „Hochmut“ zu.

Matthias Grandl
Er setzt sie unter die Überschrift der unglaublichen Kunstfertigkeit, nämlich des Zeichendeuters, der – Valerius Maximus sagt an der Stelle – leider recht hatte mit seiner Prophezeiung, dass Caesar wirklich an den Iden des März stirbt.

Valerius Maximus (gel. von Katharina Kwaschik)
Darüber, wie groß die Auswirkungen von Kunstfertigkeit sind
Auch Spurinnas Kunstfertigkeit beim Auslegen von Götterwarnungen zeigte sich als wirkungsvoller, als es der Stadt Rom lieb war. Er hatte Gaius Caesar vorhergesagt, dass er sich vor den nächsten 30 Tagen, als wären sie fatal für ihn, in Acht nehmen sollte. Der letzte Tag waren die Iden des März. Als sich die beiden am besagten Tag früh morgens zufällig im Haus des Calvinius Domitius aus dienstlichen Gründen begegneten, da sagte Caesar zu Spurinna: „Schau, die Iden des März sind längst da“. Darauf Spurinna zu Caesar: „Schau, sie sind aber noch nicht vorbei!“ Der eine hatte seine Angst abgelegt, als wäre die bedenkenswerte Zeitspanne bereits vorbei, und der andere war überzeugt davon, dass nicht einmal der allerletzte Abschnitt frei von Gefahr sein sollte. Ach, hätte doch eher den Zeichendeuter seine Kunstfertigkeit getäuscht als den Vater unseres Vaterlandes seine Sorglosigkeit!

Matthias Grandl
Valerius Maximus bringt an dieser Stelle – das brauchen wir auch für die Anekdote – Caesars Ausspruch. Es findet aber eine völlige Umakzentuierung durch dieses Spotlight auf Spurinna eben statt. Wir sehen nicht unbedingt Caesar, der den Spurinna an dieser Stelle ignoriert und auslacht. Wir sehen eher den Spurinna im Rampenlicht, der ein besonders guter Zeichendeuter war.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Nachfolgende Überlieferungen widersetzen sich allerdings der von Valerius Maximus vorgegebenen Interpretation. Bereits bei Sueton verbürgt diese Anekdote, ebenso wie die vom herzlosen Ochsen, wieder den Hochmut Caesars. In der „Historia Naturalis“, der Naturgeschichte von Plinius dem Älteren, die in den 70er Jahren n. Chr. erscheint, macht der herzlose Ochse ebenfalls Karriere – hier in einem historischen Überblick über religiöse Praktiken.

Matthias Grandl
Hier kann die Anekdote kein biografisches Wissensbauglied mehr sein. Plinius interessieren an dieser Stelle – und auch generell in seiner „Naturalis Historia“ – erste Male in der Naturgeschichte, könnte man sagen, also erste Punkte, wann etwas zum ersten Mal passiert. Ihn interessiert, dass er eben mit dieser Anekdote zeigen kann, im Jahre 44 v. Chr. irgendwann vor den Iden des März, hat man aus dem Herz eines Opfertiers gelesen, also einem nicht vorhandenen oder wie auch immer. Also eine völlige Umkontextualisierung der Anekdote. Und hier sieht man sehr schön, wie sie ganz viele verschiedene Wissensarten einfangen kann. Also vom biografischen Bauglied bei Sueton und Plutarch, bei Valerius Maximus wäre das wieder so eine Art rhetorische Kunstfertigkeit, die man da sieht, aber auch eben eine Kunstfertigkeit des Opferpriesters. Und bei Plinius sehen wir das wieder in einem ganz anderen Zusammenhang, hier mit einer theologischen-religionsgeschichtlichen Komponente.

   
Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)

ZWÖLF. ANEKDOTEN ANALYSIEREN FÜR DIE AMBIGUITÄTSTOLERANZ

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Die Anekdote verdankt ihrer Kürze, dem geringen Raum, den sie für ihre Erzählung hat, dass sie leichtfüßig von einem Wissenskontext in den anderen wandern kann.

Matthias Grandl
Eigentlich ist es bei der Anekdote nicht viel anders wie beim „Grünen Caesar“, wo wir ein sehr hartes Material vor uns liegen haben, das ich nur in einer bestimmten Weise bearbeiten kann, also wo mich das Material stark einschränkt in meiner künstlerischen Bearbeitung sozusagen. Wenn wir das auf die Anekdote ummünzen, so hat sie, so wie wir sie auch definiert haben, bestimmte Punkte, die sie braucht. Sie wird immer ein verblüffendes factum brauchen, sie wird immer ein gekonntes dictum präsentieren, und sie gibt dem Erzähler oder dem Autor relativ wenig Raum.
Ein besonderes Potential der Anekdote ist, Dinge einfach zu zeigen und nicht unbedingt ausführlich erklären zu müssen – einfach zeigen zu können. Beispielsweise Spurinna erneut und Caesar: Sueton muss an dieser Stelle nicht sagen, dass sein Caesar die Religion vernachlässigt, dass er arrogant ist. Er lässt die Anekdote einfach passieren. Er erzählt sie. Er zeigt, wie Caesar in bestimmten Situationen reagiert. Wir haben es damit auch mit einer Art indirekten Darstellung, indirekten Charakterisierung zu tun. Sueton, und das ist eine Eigenheit der Anekdote, muss nicht seinen Caesar mit bestimmten Charaktereigenschaften ausstatten. Er tut das indirekt über die Anekdote, weil, wie wir wissen, sie mehr zeigt, als sie sagt.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Und die antiken Anekdoten zeigen einen Caesar, dessen Charaktermerkmale geradezu ikonisch wurden – im Wandern von Autor zu Autor, von Medium zu Medium, von Shakespeares Caesar-Drama bis zu den heutigen Caesar-Filmen, Serien und Comics. Mit jedem Transfer, jeder Neukontextualisierung verändert sich dabei auch das Wissen selbst. Es härtet aus, wird sprichwörtlich, löst sich von der Person Caesars ab, erfährt Umdeutungen und moderne Missinterpretationen. Und – am Ende basiert vielleicht der Kern der Geschichte gar auf einem bloßen Gerücht. Müssen wir uns also damit abfinden, dass das Caesar-Bild, egal wie tief wir bohren, zu einem gewissen Grad immer fiktiv bleiben wird? Müssen wir uns damit abfinden, dass die narrativen, fiktionalen ficta mit den facta vermengt sind?

Melanie Möller
Man könnte einfach sagen, klipp und klar: Ja. Das ist ein fiktives Bild, was wir uns von Caesar machen, natürlich nicht nur von Caesar, sondern von allen mehr oder weniger. Und das muss man akzeptieren. Diesen doch irgendwie mehr oder weniger halbfingierten Caesar, den vor allen Dingen Sueton hier der Nachwelt geschaffen hat. Das heißt natürlich nicht, dass man den Dingen nicht auf den Grund gehen sollte, um sie zu verstehen. Das dann schon. Aber man muss eben so eine gewisse Bereitschaft zum Spiel, zur Niederlage, zur Offenheit mitbringen, wenn man sich historischen Ereignissen, Persönlichkeiten der Vergangenheit, aber durchaus auch der Gegenwart, nähert.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Die Reflexion der grundsätzlichen Verwobenheit von Faktischem und Gerüchten macht die Anekdotenforschung, weit über die Klassische Philologie hinaus, hoch aktuell.

Melanie Möller
ficta ist eben kein Gegenbegriff zu facta. Erstmal weil facta sowieso vor allen Dingen die Taten sind, das, was geschaffen ist, klar. Aber wenn man über facta redet, hat man natürlich immer schon die Schwelle zu den ficta übertreten – immer. Wenn man einem erzählerisch kolportierten und der Ausgestaltung verpflichteten Detail wie der Anekdote, wenn man sich zu dieser bekennt als Prinzip, dann ist man vielleicht näher dran an den facta als es diejenigen, die die ficta ablehnen, weil sie facta-Fans sind, jemals sein könnten. Also eine ganz schwierige Sache. Und ich finde auch nicht, dass es da so einen ganz, ganz gewaltigen Unterschied wirklich gibt. In der Antike war das so, da hat man das gar nicht so getrennt. Man hat das eben so gemacht und Fakten und Fiktion ganz nah aneinander gebunden und miteinander verschwimmen lassen. Und Mündlichkeit, Schriftlichkeit ist eben auch noch mal ein besonderes Problem für die Anekdote, die sehr stark mit dieser Mündlichkeit operiert und sich dadurch noch mal zusätzlich auch einen Geltungsanspruch verschafft. Wenn sie ihre eigene Mündlichkeit ausstellt, zeigt sie ein Problembewusstsein: Ich bin mündlich tradiert und damit natürlich vielleicht noch fehleranfälliger, als wäre ich es ausschließlich schriftlich – also mündlich und schriftlich –, aber ich habe meinen Bezug zur Mündlichkeit immer bewahrt und damit eine gewisse Dynamik bewahrt. Das zeigt eben, dass sie methodisch sich dieser Gratwanderung, die sie da vollzieht, bewusst ist – die Anekdote selbst oder diejenigen, die mit ihr operieren, natürlich vor allen Dingen die Texte und auch die Autoren letztlich, die sie weitergeben. Aber ich glaube, dass die Anekdote so eine Art Lösung ist oder sein könnte, das auszuhalten, dass man eben an die Fakten oder an die Wahrheiten über Fakten – ich verbinde diese beiden Begriffe jetzt ein bisschen miteinander, sind natürlich nicht deckungsgleich – dass man da nicht rankommt, dass man das aushalten muss. Das kann man mit der Anekdote schaffen, die erstens eben sich von diesem Vollständigkeitsanspruch verabschieden kann, wenn sie möchte, sie kann aber auch Teil davon werden, das ist ganz nach Belieben gestellt, die aber gleichzeitig eben auch diese facta-ficta-Gratwanderung immer in sich spiegelt.

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Und damit endet unsere Folge zum „Grünen Caesar“. Im Alten Museum, im Herzen Berlins, können Sie ihn jederzeit besuchen und seine fiktiv-faktischen Gesichtszüge mit Ihrer Vorstellung von Caesar abgleichen. Wir bedanken uns bei Matthias Grandl, Martin Maischberger und Melanie Möller. Vielen Dank fürs Zuhören, bis zum nächsten Mal und …

Julius Caesar (gel. von Matthias Dittmer)
Und bleiben Sie in Bewegung!

Sophie Ruch (gel. von Friederike Kroitzsch)
Das war „Der Grüne Caesar“ aus der Reihe „Hinter den Dingen. 5000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören“. Eine Produktion des Sonderforschungs¬bereichs „Episteme in Bewegung“ an der Freien Universität Berlin, federführend Kristiane Hasselmann, Jan Fusek, Armin Hempel und Katrin Wächter. Ein Podcast mit Matthias Grandl und den von ihm neu übersetzten Caesar-Anekdoten. Außerdem mit Melanie Möller und Martin Maischberger. Stimmen: Friederike Kroitzsch, Katharina Kwaschik und Matthias Dittmer. Diese Folge ist in Kooperation mit den Staatlichen Museen zu Berlin entstanden. Deutschlandfunk Kultur ist Medienpartner.
  



Herausgegeben und produziert vom
Sonderforschungsbereich 980 „Episteme in Bewegung“
Freie Universität Berlin
Schwendenerstraße 8
14195 Berlin
Kontakt: podcast@sfb-episteme.de
© 2022