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Savoir faire & faire savoir dans les académies en France (XVIIe siècle)

Internationaler Workshop des romanistischen Teilprojekts B05 „Theorie und Ästhetik elusiven Wissens in der Frühen Neuzeit: Transfer und Institutionalisierung“, 22.02.2019

20.05.2019

The foundation of the Académie française during the reign of Louis XIII, 1635. France, 17th century. Paris, Bibliothèque Des Arts Decoratifs (Library).

The foundation of the Académie française during the reign of Louis XIII, 1635. France, 17th century. Paris, Bibliothèque Des Arts Decoratifs (Library).
Bildquelle: © DeAgostini@agefotostock

Bericht von Şirin Dadaş
  

In Ergänzung zur Veranstaltung The Know[ing] How of Early Modern Italian Academies widmete sich der Workshop der Frage, wie in französischen Akademien des 17. Jahrhunderts Wissensbestände erörtert und tradiert wurden. Frühneuzeitliche Akademien wurden hierbei als Institutionen epistemischer Aushandlungsprozesse und Gelehrtennetzwerke soziopolitischen Anspruchs in den Blick genommen. Im Fokus standen insbesondere akademiespezifische Kommunikationsmodi, die Rolle prominenter Akteure sowie wissensoikonomische Strukturen und Implikationen. Im Austausch mit den Forschungsschwerpunkten des Teilprojekts B05 wurden insbesondere Debatten um poetische und kunsttheoretische Wissensbestände in den Blick genommen und damit einhergehend die Erörterung solcher Wissensformen, die an ästhetische Erfahrungs- und Erkenntnismodi gebunden und begrifflich schwer einholbar sind.

 

In ihrem einführenden Vortrag ‚Savoir faire & faire savoir‘ – Réflexions introductives verwies Ulrike Schneider (FU Berlin) auf die Modellhaftigkeit der italienischen Akademien des 16. Jahrhunderts für Frankreich und hob u.a. Mechanismen der Inklusion und Exklusion als Merkmale ihrer spezifischen Institutionalität hervor. Im Hinblick auf ihre zentrale Aufgabe lässt sich derweil eine bemerkenswerte Spannung beobachten: Ihre Lehrfunktion realisiert sich im Modus des faire savoir, der an konkrete Arbeitszusammenhänge, Vermittlungsweisen und Dispositive der Diskursivierung innerhalb von Akademien oder anderen institutionalisierten Kontexten gekoppelt ist; dies erfordert zugleich ein savoir faire, ein praktisches Wissen im Vollzug, das sich nicht in toto diskursiv einholen lässt, sich vielmehr einer normativen Vermittlung in Teilen gerade entzieht. Diese Spannung manifestiert sich auch in Textgattungen wie den entretiens, die einen nicht-institutionellen Austausch inszenieren und denen doch der Status einer literarischen Institution mit pädagogischem Anspruch zuzusprechen ist. Am Beispiel des entretien über die Kategorie des je ne sais quoi aus Dominique Bouhours’ Entretiens d’Ariste et d’Eugène (1671) legte Schneider dar, inwiefern diese Gattung in Konkurrenz zum akademischen Diskurs tritt und ein Wissen zu vermitteln vermag, ohne es auf definitorische Einhegbarkeit zu reduzieren.

 

Unter dem Titel Fait littéraire, livres et fabrication de collectifs dans la France du XVIIe siècle nahm Nicolas Schapira (Université Paris Nanterre), der auf die zeitgenössisch verbreitete Bezeichnung diverser Gruppenzusammenschlüsse als ‚Akademien‘ hinwies, zunächst eine Differenzierung von zwei Phänomenen vor: 1. die heikle Formierung einer Akademie, deren Anerkennung von Faktoren wie sozialem Status und Geschlecht abhing, wie bspw. Tallemant de Réaux’ und Chapelains Abwertung der Akademie der Vicomtesse d’Auchy zeigten; 2. die Diskursivität von Akademien, deren Kollektivität sich allein in diskursiven Praktiken herausbildete und nur über ihre in Manuskripten und gedruckten Schriften dargestellte Aktivität überliefert ist. Als eindrückliches Beispiel führte Schapira Pellissons Histoire de l’Académie française an, die das einzige überlieferte Zeugnis der Statuten der Académie française darstellt. Schapira plädierte dafür, entsprechende Texte nicht als bloße Quellenzeugnisse, sondern als Instrumente der Gemeinschaftsstiftung und der Herstellung individueller Reputationen mittels Gruppenbildung zu betrachten, was er anhand eines spezifischen Falles verdeutlichte. Mit Bezug auf ein kleines Manuskript von 30 Gedichten, das den Dichter Maucroix mit Autoren wie Pellisson und Tallemant des Réaux in Zusammenhang bringt, hat die Forschung von einer Akademie der „Paladins de la table ronde“ gesprochen. De facto diente dieses Manuskript mit seinen Erklärungen und Durchstreichungen Schapira zufolge aber weniger der Archivierung einer bestimmten Gruppentätigkeit als vielmehr der Herausbildung einer bestimmten Dichterpersönlichkeit, indem es Maucroix’ vielfältige Talente zu erkennen gab. Entsprechende Texte vermittelten soziale und ästhetische Werte, die miteinander verknüpft waren. Abschließend bezog Schapira mit Tallemant des Réaux’ Historiettes vergleichend einen Text mit ein, der die Vorstellung einer soliden Etablierung der Akademie und der Produktion eines autonomen Wissens ins Wanken zu bringt. 

 

Hatte bereits Schapira das Fehlen hierarchischer Lehrstrukturen als zentralen Unterschied zwischen der Académie française einerseits und den französischen Universitäten und collèges andererseits hervorgehoben, so rückte Isabelle Fellner (FU Berlin) die Kontraststellung von Renaudots wöchentlichen Diskussionsveranstaltungen zu akademischen und universitären Formen der Wissensvermittlung ins Zentrum ihres Vortrags mit dem Titel Nettoyer l’étude par la poussière: Les Conférences de Théophraste Renaudot. Fellner zufolge besteht eine der Besonderheiten der conférences in ihrer argumentativen Offenheit, die im Gegensatz zur akademischen Praxis der Preisfrage zu keiner eindeutigen Entscheidung führen mussten. Auf diese Weise bildete sich im Unterschied zur zielgerichteten Disputation in utramque partem eine Vorstellung von Unparteilichkeit heraus, die sich in der reinen Juxtaposition divergierender oder gar konträrer Argumente ohne jede Form der Synthese und im Verzicht auf eine dezisive Urteilsinstanz manifestierte. Nicht so sehr der Inhalt als vielmehr die Form der conférences erweist sich mit Blick auf das Ziel der Wissensvulgarisierung laut Fellner folglich als innovativ. Zugleich unterzog die Vortragende Renaudots Distinktionsrhetorik im Hinblick auf die Universität, deren Methoden als veraltet diskreditiert wurden, einer genaueren Prüfung. Sie verdeutlichte, dass, entgegen Renaudots Forderungen, bei zahlreichen conférenciers scholastische Traditionen in den dialektischen Argumentationen und im Zitieren von Autoritäten durchscheinen, was sich auf ihre universitäre Bildung zurückführen lasse.

 

Die spezifische Polyphonie der von Renaudot organisierten conférences hob auch Christian Michel (Université de Lausanne) in seinem Beitrag hervor und machte diesbezüglich auf ein vollkommen unhierarchisiertes Nebeneinander von fünf unterschiedlichen Stellungnahmen zur Malerei aufmerksam. Die anonymisierten Positionen reichten u.a. von ihrer Subordination unter die Mathematik bis zur Hervorhebung ihres mimetischen Charakters. In seinem Vortrag Comment faire parler la ‚peinture muette‘ et les artistes qui ne sont pas passés par les collèges? lenkte Michel ergänzend den Blick auf die conférences der Académie des Beaux-Arts und erklärte die Institutionalisierung der wertenden Bildkommentierung aus kunstsoziologischer Perspektive mit dem Bedürfnis der Maler nach aus der Praxis abgeleiteten Regeln und geeigneten sprachlichen Ausdrucksmitteln. Hierbei ging es nicht nur um die nobilitierende Umformung einer Handwerkspraxis in ein Kunstsystem, sondern, so Michel, auch um die konkrete Fixierung eines Kunstvokabulars für Maler, die zumeist eine rudimentäre Bildung genossen hatten oder als Zugezogene über beschränkte Sprachkenntnisse verfügten. Die akademische Forderung nach narrativer Sujethaftigkeit der Kunstwerke verband Michel mit spezifischen zeitgenössischen Rezeptionsbedingungen: Die an Malerei weitgehend desinteressierten Mitglieder des französischen Hofes sollten über die Aktivierung ihrer mythologischen, christlichen und literarischen Deutungskompetenzen als Klientel gewonnen werden. In Michels Ausführungen zeigte sich letztlich ein fundamentaler Unterschied zwischen der Académie des Beaux-Arts und der Académie française: Während die akademischen Bemühungen auf der einen Seite auch einer ökonomischen Aufwertung der Bildenden Künstler dienten, konnten finanzielle Erfolge der Reputation literarischer académiciens, die häufig keinerlei Werke publizierten, eher im Wege stehen.