Springe direkt zu Inhalt

The Know[ing] How of Early Modern Italian Academies

Internationaler Workshop des romanistischen Teilprojekts B05 „Theorie und Ästhetik elusiven Wissens in der Frühen Neuzeit: Transfer und Institutionalisierung“, 11.12.2017

14.05.2018

Woodcut by Giuseppe Porta (after Marco Dente)

Woodcut by Giuseppe Porta (after Marco Dente)
Bildquelle: Frontispiz of Francesco Marcolino’s „Le Sorti … intitolate giardino dei pensieri“, 1540

Bericht von Mira Becker-Sawatzky und Sebastian Strehlau
 

Der Workshop ging aus romanistischer, kunst- und wissensgeschichtlicher Perspektive vor allem der Frage nach, auf welche Weise in Akademien im Italien des 16. und 17. Jahrhunderts poetische und kunsttheoretische Wissensbestände erörtert, umgestaltet und tradiert wurden. Dabei galt es zum einen, den soziopolitischen Status und die verschiedenen Formate der Akademien zu beachten, die in dieser Zeit immer zahlreicher wurden, sich als Institutionen von Wissensaushandlungen profilierten und ihren Geltungsanspruch manifestierten. Zum anderen lag im Anschluss an die Forschungsarbeit des SFB-Teilprojekts B05 ein besonderer Interessenschwerpunkt auf der Untersuchung jener Wissensformen, die mit ästhetischen Erfahrungs- und Erkenntnismodi korreliert und dadurch begrifflich schwer einholbar und insofern elusiv sind. Mit dem Fokus auf eben diesen Wissensmodus wurde in Fallstudien das Spannungsfeld von Regelwerk und Kreativität in den Blick genommen und nach Transfer- und Institutionalisierungsprozessen elusiven Wissens gefragt. Es zeigte sich dabei die hohe Relevanz dieses epistemischen Modus im institutionalisierten Kontext akademischer Diskurse der Zeit.

Zunächst führte die Leiterin des romanistischten Teilprojekts B05, Ulrike Schneider (FU Berlin), unter dem Titel Academies, Knowledge & Aesthetics in den Workshop ein. Sie hob hervor, dass die italienischen Akademien der Frühen Neuzeit nicht nur aus historischer Perspektive als Modell für die Herausbildung von Akademien in anderen Ländern dienten; vielmehr fungierten sie noch heute oft als zentrale Referenz für die Bestimmung dessen, was eine Akademie ausmache und wie sie als spezifische Institution theoretisch zu fassen sei. Dabei sei aber zugleich die Diversität frühneuzeitlicher accademie zu bedenken, die unterschiedlichen Grade ihrer Institutionalisierung wie auch generell die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des historischen Akademiebegriffs, etwa im Abgleich mit Bezeichnungen wie ridotti, salotti, sodalitates oder cerchi. Als einende Momente der Akademien lassen sich die Gelehrsamkeit der Mitglieder sowie die soziale Praxis des Ideenaustauschs und der Wissensproduktion ausmachen. Schneider konturierte daran anschließend Themenkomplex und Fragehorizont der Veranstaltung: Welche wissensgeschichtliche Stellung nehmen Akademien in jener Zeit ein? In welcher Weise und auf welchen Wegen wird Wissen im Bereich der verschiedenen Künste im Kontext von Akademien konstituiert, diskutiert und vermittelt? Wie findet der Modus elusiven, nur näherungsweise bestimm- und diskursivierbaren Wissens Eingang in Akademien? Welcher Status und Geltungsanspruch wird diesem Wissensmodus dabei zugesprochen? Ist die Aushandlung solchen Wissens an spezifische Formen und Modalitäten der Kommunikation, mündlich wie schriftlich, gebunden? Wie verhalten sich theoretisches Regelwerk, schriftlich festgehaltenes Wissen, mündliche Erörterung sowie ästhetische und praktische Wissensformen im akademischen Diskurs zueinander? Schneider deutete damit bereits einleitend auf ein intrikates Spannungsverhältnis hin, das es zu untersuchen gelte: Jenes zwischen der freien Verhandelbarkeit von Wissensbeständen innerhalb einer Gruppe, den unterschiedlichen Wissensformen und den verschiedenen Formaten der Wissensaushandlung.

Simone Testa (Florenz/Bologna) präsentierte in seinem anschließenden Vortrag zu Italian Academies & their Networks (1434-1700). From Local to Global aus historischer Perspektive Vorgehensweisen und Erkenntnisse seiner Arbeit an der Italian Academies database. Anhand dieser Datenbank demonstrierte er sehr anschaulich die Relevanz des Phänomens der Akademien im frühneuzeitlichen Italien und lieferte einen Überblick der historischen Entwicklung der Akademienlandschaft, wobei er die von Poggio Bracciolini 1434 gegründete Accademia Valdarnina als Ausgangspunkt wählte. Testa skizzierte zudem einen Abriss zentraler Forschungspositionen zum Phänomen der Akademien im Verlauf der Jahrhunderte und besprach dabei u.a. die scharfe und oftmals polemische Kritik an Akademien als ‚Zeitverschwendung ohne intellektuelle Relevanz‘ im 18. und 19. Jahrhundert. Vor allem aber stellte Testa die Kategorien der Datenbank zur Erforschung frühneuzeitlicher Akademien in Italien vor (neben den Namen der Akademien etwa jene der Mitglieder und ihre Decknamen, Förderer, Treffpunkte der Akademie, Gründungsort, Publikationsort, Publikationsnamen, Verleger und Kupferstecher). Anhand von Fallbeispielen verdeutlichte er die Notwendigkeit, Akademien als ‚social networks‘ zu begreifen, die sich über ihre Akteure sowie insbesondere durch ihre umfangreiche Publikationstätigkeit definierten, sich dabei aus der Ortsgebundenheit lösten und maßgeblich zur transregionalen Wissenszirkulation beitrugen. Testa plädierte schließlich dafür, die italienischen Akademien des 15. und 16 Jahrhunderts bereits in den Kontext der republic of letters einzuschreiben. Insgesamt erweist sich das Projekt der IAD als nützliches Werkzeug der Wissenstransferforschung und Analyse intellektueller Netzwerke sowie als überzeugendes Beispiel für die Potenziale aber auch Herausforderungen der digital humanities. Nicht zuletzt weil einzelne Akademien und Regionen bislang nicht vollständig oder noch gar nicht (z.B. die Lombardei) erfasst worden sind und weil die Auswahl der Kategorien, aber auch das System ihrer Querverstrebungen weiterhin ausbaufähig sind, ist die Datenbank als ein work in progress zu betrachten, das weiterhin verlässliche institutionelle Kooperationspartner braucht, wie Testa verdeutlichte und wie in der Diskussion näher besprochen wurde.

Nachfolgend berichtete Mira Becker-Sawatzy (FU Berlin) aus ihrem Forschungsprojekt, in dem sie zu kunsttheoretischen Diskursen im Kontext frühneuzeitlicher Akademien arbeitet. Sie konzentrierte sich auf Accademie del Disegno im posttridentinischen Rom und Mailand von den 1580er bis in die 1620er Jahre. In ihrem Vortrag mit dem Titel Discorsi Academici on Painting – Discussing Beauty, Perfection & Nobility zeigte sie auf, dass die semantisch schwer bestimmbaren Konzepte Schönheit, Perfektion und Nobilität an den Kunstakademien zu Kernbegriffen der Verhandlung jener Fragestellungen wurden, die für frühneuzeitliche Akademien allgemein prägend waren: die Frage nach der Verortung einer Disziplin und ihrer Medien in der Wissenshierarchie. Welcher Status und welche epistemischen Potentiale nun der Malerei beigemessen waren und inwiefern mit diesen Befunden wiederum die Etablierung und Förderung von Kunstakademien begründet wurde, thematisierte sie anhand verschiedener Varianten, Schönheit, Nobilität und Perfektion in der Diskussion um das Vermögen der Malerei zu begreifen und miteinander ins Verhältnis zu setzen. Sie besprach Romano Albertis Trattato della Nobiltà della Pittura composta ad instantia della venerabil‘ compagnia di S. Luca et nobil’Academia delli Pittori di Roma (1585) und stellte dessen detaillierte Diskussion der nobiltà der Malerei vor, in der sich ethische, ästhetische und theologische Dimensionen überlagern. Zudem ging sie der Erörterung von Wissensfragen in dem von Alberti während der Präsidentschaft Federico Zuccaros zusammengetragenen und dem Mailänder Erzbischof Federico Borromeo gewidmeten Buch Origine e Progresso dell’Accademia di San Luca (1604) nach und skizzierte auf Grundlage dieses und anderer verwandter Texte Zuccaros Disegno-Theorie als veritable Epistemologie. In dieser, so Becker-Sawatzky, würden das disegno interno zum fundamentalen Prinzip jeglichen Wissenserwerbs und ‑transfers und das disegno esterno der künstlerischen Praxis zur besten Übung und Perfektionierung der Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit. Die Kunstakademie sei für Zuccaro damit letztlich die zentrale Institution der theoretischen Reflexion und praktischen Ausübung des allumfassenden disegno. Inwiefern diese Theorie unter den Künstlern, gentiluomini und amatori dell’arte, die an den discorsi academici teilnahmen, durchaus umstritten war, deutete die Vortragende u.a. anhand der Lektüre der Considerazioni sulla Pittura (1614-1621) Giulio Mancinis an. Abschließend betrachtete sie das Programm der Accademia Ambrosiana, die Federico Borromeo als Teil seiner innovativen Bildungsinstitution mit Kunstmuseum und Bibliothek in Mailand gegründet hatte. Anhand der Gründungsakten und Borromeos Texten zur Kunst, insbesondere des als Begleitbuch zur Kunstausstellung verfassten Musaeum (1625), erörterte Becker-Sawatzky das für die Akademie maßgebliche kunsttheoretische Programm des Erzbischofs, das ganz konkrete Stilfragen und Bildbesprechungen in den Vordergrund rückte und die entscheidende Fähigkeit der (sakralen) Malerei in der angemessenen, gelehrten und damit perfekten Darstellung von Schönheit sah, die auf die Meditation und Reflexion der Schönheit der göttlichen Schöpfung hinführte. Anhand dieser discorsi und der drei komplexen Kernbegriffe ging die Vortragende so der Verhandlung gerade solcher epistemischer Qualitäten nach, die ästhetische Erfahrungs- und Erkenntnismodi prägen und als elusives Wissen im institutionalisierten Kontext äußerst relevant wurden.

Um Theorie und Praxis der Dichtkunst und deren Exzellenz im Kontext einer Akademie junger Adliger in Florenz ging es im anschließenden Beitrag von Déborah Blocker (UC Berkeley). In ihrer Forschung zu frühneuzeitlichen Akademien beschäftigt sich die Literaturwissenschaftlerin seit einigen Jahren intensiv mit der Accademia degli Alterati, die sich v.a. Dichtung, Rhetorik und Drama widmete und die Künste als ‚set of representation‘ zu scienze erhob. Blocker stellte im Workshop Ergebnisse ihrer Arbeit aus einer noch unveröffentlichten Monographie vor und fragte nach der kulturellen wie soziopolitischen Rolle der Alterati, nach deren poetischer Praxis und poetologischer Theoriebildung. Sie wies nach, dass diese in ihrer Mitgliederwahl sehr selektive Akademie jenen adligen und wohlhabenden jungen Männern von Florenz einen wichtigen Handlungsraum bot, die im Machtgefüge der Medici-Regierung an politischem Einfluss und öffentlichen Aufgaben stark eingebüßt hatten und die sich mit ihrer Akademie neu zu identifizieren und diese als soziopolitisch, kulturell wie auch moralisch bedeutsam zu charakterisieren suchten (nicht zuletzt in Konkurrenz zur Accademia Fiorentina). Unter dem Titel Guilds, Civil Offices & Poetics: Practicing and Theorizing the Art of Poetry among the Alterati of Florence (1569 ca. 1625) fokussierte Blocker Praxis und Theorie der Dichtung der Akademiemitglieder als ‚aesthetic contemplation on spiritual truth‘, ‚shared pleasure‘, ‚retreat from civic space‘, sowie Kultivierung eines ‚freedom of judgement‘. Anhand des intrikaten Beispiels kollektiver ‚Gedichtzensur‘ zeigte Blocker auf, wie Urteilsvermögen und kollaborative künstlerische Praxis in der Akademie gefördert waren und eine Poetologie erarbeitet wurde, der die Vorstellung unerreichbarer Vorbilder und rigide Regularien fremd waren. So trugen die Mitglieder der Akademie ausgewählte Gedichte vor und besprachen, kritisierten und bewerteten sie in der Gruppe. Ziel war es, als Kollektiv Kriterien und Strategien auszumachen, um mittelmäßige Gedichte zu verbessern; Perfektion war explizit als nicht erreichbar und auch nicht erwünscht angesehen. Es wurde daher auch kein Kanon exzellenter Gedichte zur Orientierung aufgestellt, sondern eine Reihe konsensuell als kritikwürdig erachteter Gedichte zusammengetragen und mit entsprechenden Kommentaren in Büchern schriftlich festgehalten. Derart entwickelten die Alterati auf innovative Weise eine eigene ‚culture of know-how on aesthetics‘. Dabei seien, so Blockers These, die Ablehnung der ‚excellence‘ und die Freiheit des ästhetischen Urteils eng mit politischer Freiheit bzw. Teilhabe in der Republik verknüpft und die generelle Negation von ‚excellence‘ deute letztlich auf eine Ablehnung jeglicher Art von Oligarchie und Tyrannei hin.

Der abschließende runde Tisch unter der Leitung von Martin Urmann (FU Berlin) bot allen Beteiligten die Möglichkeit, die präsentierten Fallstudien, Befunde und Positionen in der Zusammenschau noch einmal gemeinsam zu reflektieren. Dabei ging es einerseits vertieft um inhaltliche Fragen, etwa um die Erforschung des epistemischen Status eines Wissens, das innerhalb der Akademien einer Tendenz zur Institutionalisierung und Kodifizierung unterliegt, zugleich aber inhärent elusiv ist und entsprechend ständig neu verhandelt und verortet werden muss. Andererseits wurden im Nachgang der Präsentation der IAD Möglichkeiten und Grenzen der kollaborativen Wissensgenese innerhalb der heutigen scientific community kritisch hinterfragt.