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Le savoir esthétique et ses voies de transmission, ou: Comment communiquer, enseigner, instituer l’art en France et en Italie aux XVIe et XVIIe siècles?

Studientag mit Déborah Blocker (University of California, Berkeley) organisiert vom Teilprojekt B05 „Theorie und Ästhetik elusiven Wissens in der Frühen Neuzeit: Transfer und Institutionalisierung“ (Leitung: Prof. Dr. Ulrike Schneider), 01.07.2019

27.11.2019

The foundation of the Académie française during the reign of Louis XIII, 1635. France, 17th century. Paris, Bibliothèque Des Arts Decoratifs (Library).

The foundation of the Académie française during the reign of Louis XIII, 1635. France, 17th century. Paris, Bibliothèque Des Arts Decoratifs (Library).
Bildquelle: © DeAgostini@agefotostock

Bericht von Rogier Gerrits 

Der Studientag widmete sich den vielfältigen Modi des Transfers ästhetischen Wissens in der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der Art und Weise seiner Vermittlung, Diskussion und Institutionalisierung in unterschiedlichen Lehrkontexten wie Akademien und Universitäten. Im Fokus standen die dichtungstheoretischen Auseinandersetzungen und Kommentare zur Aristotelischen Poetik im Italien des 16. Jahrhunderts sowie kunsttheoretische Debatten innerhalb der Académie Royale de Peinture et de Sculpture in Frankreich. Anhand von Fallstudien wurden Spannungsmomente von Kodifizierung und Kreativität sowie praktischem und theoretischem Wissen in den Blick genommen und nach der spezifischen Relevanz eines elusiven Wissensmodus innerhalb der untersuchten Kontexte gefragt.

Déborah Blocker (UC Berkeley) befasste sich in ihrem Beitrag mit den Kommentaren zur Aristotelischen Poetik von Francesco Robortello und Piero Vettori. Mittels einer Analyse der handgeschriebenen Annotationen, die in unterschiedlichen Ausgaben der Kommentare hinzugefügt wurden, konnte sie nachzeichnen, wie die Aristotelische Poetik in den italienischen akademischen Kreisen des 16. Jahrhunderts diskutiert, vermittelt und unterrichtet wurde. Das annotierte Exemplar von Robortellos Kommentar erschien 1548 bei Lorenzo Torrentino und befindet sich in der Bancroft Library der UC Berkeley. Die wahrscheinlich aus der Feder des italienischen Humanisten Sperone Speroni stammenden Annotationen zeugen, so Blocker, davon, wie Speroni sich den Text aneignete. So reproduziert er die im Kommentar zitierten Quellen und korrigiert die aus seiner Sicht falschen Interpretationen solcher Quellen. Zudem fügt Speroni Annotationen als Lesehilfe ein, indem er manche Sätze und Wörter an den Seitenrändern wiederholt. Die Annotationen können somit als ein Beispiel dafür gesehen werden, wie ein individueller Gelehrter sich Wissen aneignet. 

Zudem zeigte Blocker, dass Annotationen auch im kollektiven Kontext der Accademia degli Alterati für den Wissenstransfer eine Rolle spielten. Das in der Biblioteca Nazionale Centrale in Florenz aufbewahrte Manuskript, das Blocker als Beispiel anführte, wurde von den Akademikern sogar dezidiert angefertigt, um mit Anmerkungen versehen zu werden. Das Manuskript, das den Stil eines Druckes imitiert, enthält den Kommentar und die Poetica von Pietro Vettori. Der große Zeilenabstand sowie die eingefügten leeren Blätter schaffen genügend Raum für die Annotationen, die nicht weniger als sieben unterschiedliche Handschriften erkennen lassen und, Blocker zufolge, von Mitgliedern der Akademie der Alterati stammen. 

Sowohl die Annotationen von Speroni als auch die von den Mitgliedern der Alterati zeigen laut Blocker, dass die Aristotelische Poetik nicht mit dem Ziel diskutiert wird, einen poetologischen Regelkatalog aufzustellen. Vielmehr zeugen sie von einer aktiven und dynamischen Diskussion poetologischer Konzepte, so wie diese außerhalb des Blickfeldes der sozialen Öffentlichkeit – wie dem Hofe oder der Kirche – geführt wurde. Die annotierten Kommentare verdeutlichen somit, dass das Erlernen eines ästhetischen Wissens innerhalb der italienischen Akademien als kollektiver Aushandlungsprozess zu fassen ist. Dabei stand, so Blocker, nicht der moralische oder politische Nutzen künstlerischer Äußerungen, sondern vielmehr die aktive und dynamische Diskussion von elusiven und ästhetischen Konzepten, wie Schönheit oder Wunder („maraviglia“) im Mittelpunkt, die ein Vergnügen („delectare“) auslösen würden, welches laut den Akademikern das Hauptziel von literarischen Texte sei.

Şirin Dadaş befasste sich in ihrem Beitrag mit zwei Lehrdialogen: Bernardino Daniellos Della Poetica (1536) und Pietro Bembos Prose della volgar lingua (1525). Dabei fokussierte sie die elusiven Momente, die in der Vermittlung poetologischen Wissens manifest werden. Zunächst machte sie deutlich, dass bereits durch die Gattungswahl und Anlage des Lehrdialogs eine Lehr- und Lernbarkeit des verhandelten Gegenstands nahegelegt wird. Daniello folge zudem der Horaz’schen Theorie, nach der angeborenes Talent nicht ausreiche, vielmehr natura mit arte oder ingenium mit studium einhergehen müsse. Dieser (aristotelisch-horaz’sche) Gedanke der Erlernbarkeit der Dichtkunst werde bei Daniello allerdings mit der platonischen Vorstellung verknüpft, eine göttliche Kraft lenke den Intellekt des Dichters – eine Kraft, die sich folglich in Teilen jenem diskursiven didaktischen Transfer poetologischen Wissens entziehe, der in erster Linie mit dem Dialog angestrebt werde. Weitere Definitionsschwierigkeiten, die ein elusives Moment innerhalb der Klassifizierung durchscheinen lassen, ergeben sich laut Dadaş bei den drei Stilebenen, insbesondere durch ihre partielle Verknüpfung mit der ästhetischen Kategorie grazia, und dies nicht nur bei Daniello, sondern auch bereits bei Quintilian. Und auch wenn im Dialog die persuasione von dem rhetorischen in den poetischen Bereich transponiert und zur Voraussetzung gelungener Dichtung gemacht werde, sei die Rede von einem versteckten und mithin nicht klar zu bestimmenden Vermögen des Dichters. Laut Dadaş ist die Einführung der persuasione auf Bembos Prose zurückzuführen, wo die Überzeugungskraft zur geheimen Tugend des Dichters stilisiert wird, ohne die die zentral gesetzten Kategorien der piacevolezza und gravità keine Wirkung hätten. Im Unterschied zu Daniellos Dialog werde allerdings zwischen der Überzeugungskraft der Rhetorik und der Poetik differenziert: Die persuasione beziehe sich in den Prose lediglich auf die Euphonie des „bene scrivere“. Auch bei Bembo, so zeigte Dadaş, geht die Vorstellung von einer Erlernbarkeit und Bestimmbarkeit von poetisch-ästhetischem Wissen einher mit elusiven Momenten. Abschließend ging Dadaş auf den historischen Gelehrten Trifon Gabriele ein, der als Figur sowohl in Bembos als auch Daniellos Dialog erscheint, was von dessen linguistisch-poetologischer Autorität – trotz des weitgehenden Fehlens eigener Schriften – zeuge und auf eine wirkungsvolle Lehrtätigkeit in seinem cenacolo hindeute.

Rogier Gerrits setzte sich in seinem Beitrag mit der Verwendung des Begriffes „merveilleux“ in den Conférences vom Ende des 17. Jahrhunderts der französischen Académie Royale de Peinture et de Sculpture auseinander. Ihm zufolge zeugt der Einsatz dieses Begriffes durch die Kunstakademiker von einem Transfer elusiven Wissens innerhalb eines institutionellen Kontextes. Der Begriff werde von den Akademikern grundsätzlich immer dann verwendet, wenn ein Kunstwerk Verwunderung hervorrufe und seine Betrachter in Staunen versetze. Die Ursachen für dieses Staunen seien jedoch nur schwer zu diskursivieren, da diese Passion nach den zeitgenössischen Theorien von René Descartes und dem Mitbegründer der Akademie Charles le Brun, auf die die Akademiker sich stützen, durch eine Unvertrautheit mit einem bestimmten Objekt ausgelöst werde. Anhand einiger Textbeispiele aus den Conférences zeigte Gerrits, dass Kunstwerke, die Staunen bewirken, für die Akademiker zudem eine ‚wunderbare‘ Qualität besaßen, die mit dem Begriff merveilleux umschrieben wurde. Hierbei sähen die Akademiker nicht nur die Malkunst an sich als eine merveille an, sondern auch spezifische Maltechniken sowie die Darstellung von religiösen Themen, wie die Heilung der Blinden (Nicolas Poussin, Les Aveugles de Jéricho dit le Christ guérissant les aveugles, 1650) oder der Eucharistie (Paul Veronèse, Les pèlerins d’Emmaüs, ca. 1559). Die Betrachtung solcher als wunderbar beschriebener Kunstwerke eignet sich laut den Akademikern, so ging ebenfalls aus den Beispielen hervor, für das Erlernen künstlerischer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Staunen erregenden Kunstwerke besitzen nämlich ebenfalls eine epistemische Dimension, insofern sie Neugierde auslösen und den Kunststudenten zu einer näheren Untersuchung der verwendeten Maltechniken auffordern.