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Sound Objects in Transition: Knowledge, Science, Heritage

Workshop des TP C04 „Epistemische Dissonanzen. Wissensobjekte und Werkzeuge frühneuzeitlicher Akustik“, der FG „Epistemes of Modern Acoustics“ des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte u. des Deutschen Museums am 15.–16.09.2016

02.08.2017

Flyer "Sound Objects"

Flyer "Sound Objects"

Bericht des Teilprojekts C04
 

Im Zentrum des Teilprojektes C04 „Epistemische Dissonanzen. Wissensobjekte und Werkzeuge frühneuzeitlicher Akustik“ steht die Herausbildung akustischer Wissensobjekte und Forschungswerkzeuge im Kontext neu erwachsender Institutionen und Gelehrtennetzwerke, materieller Kulturen und Medientechnologien. Der gemeinsam mit der Forschergruppe „Epistemes of Modern Acoustics“ des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte und dem Deutschen Museum organisierte Workshop widmete sich den zahlreichen Berührungspunkten zwischen der Geschichte akustischer Objekte (wie Glocken, Saiteninstrumenten, Pistolen, Phonographen oder Synthesizer) und der Produktion von Wissen, Wissenschaft und kulturellem Erbe. Dabei wurden neben materiellen Objekten, die als Klangquelle, Klangspeicher und Klangüberträger fungierten, auch immaterielle Objekte wie Klänge des täglichen Lebens, musikalische Klänge und Lärm einbezogen. So zahlreich und divers die Objekte, die im Rahmen der einzelnen Beiträge vorgestellt wurden, so vielfältig waren auch die Fragen, die an diese Objekte gerichtet wurden. Wann und wie wurden aus konkreten Objekten Forschungsobjekte und welche Form der agency bildeten sie aus? Welche Rolle spielte ihre Materialität hinsichtlich ihres Wertes, ihres Klangs oder ihrer Form? Wie wirkte sich ihre räumliche und kulturelle Eingebundenheit auf ihren Gebrauch aus? Wie waren sie in kodifizierte Handlungen, künstlerische oder technische Praktiken und soziale Netzwerke eingebunden? Zirkulierten Objekte zwischen einzelnen Disziplinen? Wie wurde ihr Klang beschrieben, visualisiert, gemessen, gespeichert, ausgestellt, digitalisiert?

Zum Auftakt sprach H. Floris Cohen (Descartes Centre, Utrecht University) über den Einfluss materieller Objekte auf Theorien des Gleichklangs und der Instrumentenstimmung. Mit Fokus auf Marin Mersenne (1588–1648) stellte Jacomien Prins (University of Warwick) im Folgenden dar, wie akustische Objekte frühneuzeitliche Vorstellungen vom therapeutischen Potenzial der Musik geprägt haben. Rebecca Wolf (Deutsches Museum, München) befasste sich mit metallurgischen Praktiken im Kontext der Herstellung von Musikinstrumenten. Hierbei zeichnete sie eine longue durée nach, die sich vom 12. bis ins 19. Jahrhundert erstreckte. Musikalisch genutzte Gläser als traditionsreiche sound objects standen dann im Fokus des Vortrags von Peter Pesic (St. John’s College, Santa Fe). Dabei interessierte Pesic vor allem Franz Mesmers (1734–1815) Einsatz solcher Gläser und ihr Stellenwert für die Entwicklung medizinischer Behandlungsmethoden. Am Ende des ersten Workshop-Tages stellte Joseph S. C. Lam (University of Michigan) die zeitgenössische Aufführungspraxis der historischen Kunqu-Oper in China vor. Dabei interessierte vor allem ihr Stellenwert als UNESCO-Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit.

Zu Beginn des zweiten Workshop-Tages widmete sich Joeri Bruyninckx (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin) Beitrag dem Stimmkopf der Vögel als widerständiges epistemisches Objekt, das über Jahrhunderte verschiedenste Theoriebildungen provozierte. Auch Tiago De Oliveira Pinto (Hochschule für Musik Franz Liszt, Weimar / Friedrich Schiller Universität, Jena / São Paulo) warf ein Schlaglicht auf Vögel als Klangobjekte. Im Mittelpunkt standen bei De Oliveira Pinto die traditionsreichen Singvogelwettbewerbe, die er unter anthropologischen Gesichtspunkten diskutierte. Myles Jackson (New York University) befasste sich daraufhin mit Vakuumröhren, die in der Akustik eine lange Geschichte haben, als physikalische Objekte aber vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts in Zusammenhang mit der Erfindung neuartiger musikalischer Instrumente standen. Der Hörvorgang und Formen auditiver Wissensproduktion standen dann im Mittelpunkt des Vortrags von Julia Kursell (University of Amsterdam). Dabei erschienen Goethes Ausführungen zur Sinneswahrnehmung als Dreh- und Wendepunkt innerhalb einer longue durée von Theorien des klanglichen Spektrums, seiner Hör- und Analysierbarkeit. Viktoria Tkaczyks (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin / Humboldt-Universität zu Berlin) Beitrag verfolgte Konzepte der ‚inneren Stimme’ über einen Zeitraum von ca. 1500 bis zur Gegenwart. Besondere Beachtung schenkte sie dabei der Position des französischen Psychophysiologen Gilbert Ballet, der am Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene bis dahin separat bestehende Theoriedebatten zusammenführte. Den abschließenden Vortrag des Workshops hielt Shane Butler (Johns Hopkins University). Butler wandte sich der Nachtigall als einem besonderen sound object zu, das über viele Jahrhunderte hinweg vielfältige Spuren in Literatur und mythologischer Imagination hinterlassen hat.

Karin Bijsterveld (University of Maastricht) rundete den Workshop mit einem pointierten Kommentar ab. Sie betonte, dass die Beiträge zur vormodernen Musik-, Theater- Literatur- und Wissenschaftsgeschichte eine in den Sound Studies lange vermisste Expertise aufweisen und nannte die historiographische Ausrichtung des Workshops auf neue Formen der Langzeitgeschichtsschreibung eine große aber höchst lohnenswerte Herausforderung.

Der Workshop wurde konzipiert von Viktoria Tkaczyk (MPIWG / Humboldt-Universität zu Berlin) und Rebecca Wolf (Deutsches Museum).