Springe direkt zu Inhalt

Das Haus schreiben. Wissensbewegungen in der ökonomischen Literatur der Frühen Neuzeit (1300‐1700)

Tagung von Dr. Christina Schaefer (B05 „Theorie und Ästhetik elusiven Wissens in der Frühen Neuzeit“) und Dr. Simon Zeisberg („Alchemia poetica. Chemisches Wissen und Dichtung um 1600“), 01.–02.12.2016

20.02.2017

Bildnachweis: SLUB Dresden / Digitale Sammlungen aus: Archit.217

Bildnachweis: SLUB Dresden / Digitale Sammlungen aus: Archit.217

Bericht von Juschka Dirr und Simon Brand 

In der Frühen Neuzeit waren Texte zur Ökonomik in der Unterweisungsliteratur weit verbreitet. Solche Schriften werben mit einem Wissen, das die Rezipienten zur rechten Führung der Hauswirtschaft und Familie anleiten soll. Hierbei gilt das Haus als stabile Institution des ordo. Allerdings täuscht diese Stabilitätsanmutung über den tatsächlich stetiger Bewegung und stetem Wandel unterworfenen realen Haushalt und das in ihm wirksame ökonomische Wissen der Frühen Neuzeit hinweg. Die Transferdynamiken, welche durch die Diskursivierung des ökonomischen Wissens entstehen, gilt es in ihrer Beziehung zum Verhältnis von Stabilität und Wandel des Wissens zu untersuchen.

Diese unterschwelligen Bewegungen ökonomischen Wissens in der frühneuzeitlichen Literatur der Romania, Englands und des deutschsprachigen Raums waren Gegenstand der Tagung: Das Haus schreiben – Wissensbewegungen in der ökonomischen Literatur der Frühen Neuzeit (1300–1700), welche am 01. und 02. Dezember 2016 in der Villa des SFB 980 von Christina Schaefer (B05) und Simon Zeisberg (A06) veranstaltet wurde. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gingen dabei vor allem der Frage nach, auf welche Art und Weise die Diskursivierung ökonomischen Wissens in Texten der Frühen Neuzeit stattfindet und welche Wirkungen diese jeweils entfalten. Die Perspektiven waren sowohl literarischer als auch wissensgeschichtlicher Natur und die Vorträge thematisierten neben diskursiven auch sozio-politische, religiöse und genderspezifische Voraussetzungen des Wissenstransfers.

Rüdiger Schell (Basel) zeigte auf, wie sich der Ökonomiediskurs im Hinblick auf das Theorem der concordia zwischen Eheleuten in der Zeit von 1300 bis 1700 mit der Problematik verband, dass Ehe in der Tradition der aristotelischen Ethik zwar auf amicitia gründen, zugleich aber die Dominanz des Mannes gegenüber der Ehefrau miteinschließen sollte. Forciert wurde dieses Paradox durch die Bibelexegese, zumal die Frau dem Ersten Buch Mose entsprechend einerseits als Gefährtin des Mannes anzusehen sei, andererseits jedoch der Herrschaft des Mannes unterstehe. Der pastorale Ehediskurs konzentrierte sich in der Folge auf eine getrennte Unterweisung der Geschlechter, die nicht zuletzt zum Zweck häuslichen Wirtschaftens auf ehelichen Zusammenhalt abzielte.

Das hiermit kontextualisierte Ideal einer oeconomia christiana, welcher zufolge Gott das Urbild aller hausväterlichen Fürsorge repräsentiert, klingt auch in Jean Bodins wirkmächtigem Werk Les six livres de la République an, dessen ökonomischen Diskurs Claudia Opitz-Belakhal (Basel) vorstellte. Nach Bodin befindet sich die hierarchische Organisation des Hauswesens (ménage) mit derjenigen des Staates (République) in struktureller Übereinstimmung; die Familie bildet die Grundlage des Staates. Allerdings unterscheidet sich der Hausherr darin vom Souverän, dass er der Privateigentümer des Haushalts und aller darin erwirtschafteten Güter ist, wohingegen der Monarch allgemeinen Besitz verwaltet. Das Naturrecht der väterlichen Gewalt sieht Bodin in einem stetigen Niedergang begriffen, welcher bereits in der römischen Kaiserzeit begonnen habe. Ferner artikuliert er sich als Kritiker der Staatstheorie des Aristoteles, wenngleich er bei der Entfaltung seiner oikos-Konzeption subkutan aristotelisches Wissen iteriert.

Simon Zeisberg (Berlin) präsentierte mit Johann Balthasar Schupps satirischer Schrift De Arte Ditescendi ein Beispiel, wie in Wissensdiskursen, deren Geltung von vornherein in Frage steht – darunter etwa eine ‚Kunst reich zu werden‘ –, Spannungslagen auf religiös-moralischem und epistemischem Gebiet, wie sie um 1650 auftraten, aufgedeckt werden. Zwar scheitert der Erzähler, der sich als autofiktionales Ich des Autors zu erkennen gibt, nach eigenem Bekennen an der Frage, wie man zu materiellem Wohlstand gelangen könne, doch zeichnet sich auf der Ebene des Geschehens eine reformerische Agenda ab: Praxis, Erfahrung und Übung werden zugunsten eines utilitaristischen Ökonomieverständnisses aufgewertet. Demgegenüber wird mit den satirischen Mitteln von Polyphonie, innerem Widerspruch und Ironie das Versagen der Gelehrten auf ökonomisch-praktischem Gebiet vorgeführt.

Michael Lorber (Berlin) beschrieb die Entwürfe der Werkhäuser des Projektemachers und Alchemisten Johann Joachim Becher als Zeugnisse einer Reformpolitik, die den Beginn eines wirtschaftspolitischen Umbruchs hin zu einer Ökonomie der Wertschöpfung markierte. Becher wirkte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Hofökonom in München und später in Wien, wo unter seiner Ägide ein Werkhaus – ein Gehöft mit zahlreichen Manufakturen und Wohnräumen – entstand. Dieses sollte der Versorgung und Arbeitserziehung der Armen, vor allem aber der Wissensproduktion dienen: Becher beabsichtigte, in Einrichtungen wie dieser Verfahrens- und Materialforschung zu betreiben, um so das staatlich organisierte Manufakturwesen insgesamt zu stärken. Ziel war es, die Macht der Zünfte zu brechen. Trotz des Misserfolges des Projekts kann dieses dennoch als ein Schritt in Richtung einer Etablierung der Prinzipien von Gouvernementalität und Biopolitik (Foucault) angesehen werden.

Monika Mommertz (Freiburg/Basel) wies darauf hin, dass Haushalte bis über das 17. Jahrhundert hinaus als Zentren für Wissensproduktion und gesellige Gelehrsamkeit fungierten. Zumal die meisten der für die Produktion von medizinisch-chemischem Wissen benötigten Instrumente nur im häuslichen Umfeld zu beziehen waren, entwickelten sich Haushalte in der Frühen Neuzeit zu Begegnungsstätten von Laien und Gelehrten, von denen letztere ohnehin nicht selten die Abkehr vom akademischen Bücherwissen propagierten. Eine Ambivalenz nicht-gelehrter, häuslicher Wissensproduktion offenbart sich indes vor dem Hintergrund, dass diese von den universitären Autoritäten nicht ernst genommen wurde, was einen Austausch über die institutionellen Grenzen hinweg erschwerte.

Doris Ruhe (Greifswald) zeigte auf, dass es in den mittelalterlichen französischen Fabliaux meist der soziale und ökonomische Hintergrund ist, der mit seiner Verknüpfung von Sexualität und Geld zum Lachen Anlass gibt. Den Ausgangspunkt der Handlung bildet eine materielle Destabilisierung von Ehe oder Haushalt. Die Ehefrau wird dadurch zum ökonomischen Faktor: Ihr ‚Kapital‘ (avoir) besteht in ihrer sexuellen Anziehungskraft, die mit dem Geld reicher Lüstlinge verrechnet wird. Die Frau verfügt jedoch auch über Klugheit (savoir), welche sie in die Lage versetzt, die lüsternen Männer durch geschickten Einsatz ihrer körperlichen Reize um ihr Geld zu bringen, wodurch die Stabilität von Ehe und Haushalt wieder hergestellt wird.

Margarete Zimmermann (Berlin) griff in ihrem Vortrag zunächst auf das Konzept des Hauses, wie es im Mittelalter und der Antike entwickelt wurde, zurück: Die organisierende Hausmutter untersteht dem vermögenden Hausvater. Dieses Konzept des Hauses durchzieht Christine de Pizans gesamtes Werk, wobei sie insofern einen ganz eigenen Akzent setzt, als sie die Vorstellung eines idealen Hauses im Sinne eines wirtschaftlich autarken Ortes mit einer paradiesischen Jenseits-Vorstellung paart. In dieser Utopie erlangen die Frauen durch die Abwesenheit der Männer häusliche Macht und das Ideal des Hausfriedens definiert sich nicht mehr über die Unterwerfung der Frau unter den Ehemann, sondern über die rationale, selbstbestimmte Ausübung der Herrschaft über das Haus durch die Frauen.

Anhand der Flamminia prudente des Paolo Caggio untersuchte Christina Schaefer (Berlin), inwieweit ökonomisches Wissen in einem Drama des 16. Jahrhunderts in Szene gesetzt wird. Das Stück handelt von Monofilo, welcher sich von Flamminia, die er über alle Maßen liebt, abgewiesen fühlt und sich in seiner Not an Porzia, eine gemeinsame Freundin, wendet. Diese fungiert als Kupplerin und schafft es letztlich, beide Liebenden zusammenzuführen, indem sie sich ihr literarisches Wissen zunutze macht. Sie deutet unter Rekurs auf Petrarca die aus der zeitgenössischen Commedia dell'arte bekannte und keineswegs tugendhafte Flamminia in eine Flamminia prudente um, die sich den Tugenden einer Jungfrau gemäß abweisend und unnahbar verhält, wohingegen Porzia der Rolle der guten und tugendhaften Ehefrau entsprechend ihre Freunde zusammenführt. Neben dem ökonomischen nimmt an dieser Stelle das poetische Wissen eine wichtige Rolle ein.

Anne Enderwitz (Berlin) konstatierte in ihrem Vortrag, dass ein Unbehagen am Kommerziellen in der frühneuzeitlichen Ökonomie zu einer generellen Furcht vor Enteignung, einem akkumulativen Begehren von Gütern und in diesem Sinne zu Eifersucht führt. Neid und grundsätzliches Misstrauen resultieren auch aus der Doppelmoral, welche durch den Widerspruch des in den Hausbüchern propagierten Ethos, Gewinnstreben sei verwerflich, zur Annahme des Merkantilismus, wonach Gewinnstreben eine anthropologische Konstante sei, hervorgerufen wird. Die Frau wird auf der Bühne, zum Beispiel in Shakespeares Othello, einerseits als zu besitzendes Objekt, andererseits als Subjekt eines exzessiven Begehrens definiert. Ähnlich wie Geld wird sie durch Zirkulation entwertet. Ebenso wie wertvolle Münzen der Zirkulation entzogen und sicher verwahrt werden, wird daher auch versucht, die Frau von der Außenwelt und möglichen Verehrern fernzuhalten und sie abzuschotten. Die untreue Ehefrau versinnbildlicht hier den Wertekonflikt zwischen Ethik und Kommerz.

Rom steht Verena Lobsien (Berlin) zufolge in Shakespeares Coriolanus als Chiffre für das zeitgenössische London. Die zu Shakespeares Zeit stark rezipierte stoische Lebensweise nach Seneca und damit einhergehend die Verknüpfung von Mikro- und Makrokosmos stehen in dem Stück auf dem Prüfstand. Der gefeierte Einzelkämpfer Coriolan findet sich bei dem Versuch, Staatsmann zu werden, zum bloßen Objekt des Marktgeschehens gemacht, was seinem stoischen Autonomiebedürfnis zutiefst entgegenläuft. Seine stoische Treue zu sich selbst und die Erhabenheit über jegliche Affekte lassen sich nicht mit Ökonomie verbinden. Dies führt zur vollkommenen Ohnmacht des Helden, der sich als durch und durch fremdbestimmt empfindet. Der daraus resultierende Zorn ist zwar einerseits Motor seines Handelns, andererseits aber letztlich auch der Grund für sein Scheitern. Sein Gefühlshaushalt steht konträr zur verhandelten und tatsächlich vorhandenen Ökonomie Roms.

Daniel Fulda (Halle) ging in seinem Vortrag näher auf den Wandel des Ökonomie-Begriffs der Frühen Neuzeit zu dem der Moderne ein. Während unter Ökonomie ursprünglich die Ordnung und Verwaltung des Hauswesens sowie die gerechte Güterverteilung zu verstehen ist, rückt die Moderne das Streben nach Gewinn verstärkt in den Fokus. Die Komödie des 18. Jahrhunderts kann dabei als ökonomische Gattung par excellence gelten. Geld steht in den verschiedensten Varianten im Zentrum des Geschehens, Handlungsträger sind zumeist Landadel oder Bürgertum und die thematisierten Konflikte entspinnen sich im Haus. Zwar treibt der Wettbewerb die besten Ergebnisse hervor, ein glückliches Ende wird aber nicht durch Tugendhaftigkeit erreicht, sondern es bedarf immer der unsichtbaren Hand Gottes, die alles zum Besten lenkt. Thema der Komödie ist folglich die gerechte Verteilung von Gütern, die allerdings nicht volkswirtschaftlich begründbar ist, sondern – bereits vor Adam Smith – in eine Struktur der providentiellen Ordnung säkularer Ökonomien einmündet.

Kaum ein Verhältnis hat sich von der Vormoderne zur Moderne stärker gewandelt als das zwischen Hausherrn und Dienerschaft. Anita Traninger (Berlin) verdeutlichte dies an verschiedenen frühneuzeitlichen Herangehensweisen. War es in der Vormoderne weniger die Frage, ob man Diener haben soll, sondern wie man mit ihnen umzugehen hat, hält Lando es für besser, gar keine Diener zu haben, da immer ein dissimulatorischer Beigeschmack des Bedient-Werdens bleibt und niemand vollkommene Verfügungsgewalt über das Denken des Dieners haben kann. Der Diener ist immer ein Feind im eigenen Haus. Montaigne, Alfieri und De Larra vertreten hingegen die Auffassung, dass der Hausherr sich selbst und seine Affekte kontrollieren muss, um die Hierarchie des Hauses nicht zu gefährden. Die Grundideen zur Behandlung der Dienerschaft basieren auf antiken  Quellen zum Umgang mit Sklaven. Auf diese Weise werden die Argumente der Sklavenhaltergesellschaft unter der Hand weit über die Frühe Neuzeit hinaus tradiert.

Tobias Bulang (Heidelberg) referierte über Wittenwilers Ring, der eine Lehre vom Haushalten im Sinne eines Regelwerks bezüglich der verschiedenen Aufgaben im Haushalt enthält. Im Fokus steht dabei eher der Nutzen als christliche Erwägungen. In dem Bauernhochzeits-Schwank, der in eine Untergangsgeschichte mündet, wird Haushaltslehre durch ihre Alltagsuntauglichkeit zum Gegenstand des Grotesken und Absurden, da der Protagonist das Wissen, welches ihm vermittelt wird, stets verfehlt und dadurch unaufhaltsam einer Katastrophe entgegenläuft.