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Wissenshybride zwischen Textwissen und Naturbeobachtung. Formen und Medien der Gelehrsamkeit in der république des lettres

Studientag des Teilprojekts A07 „Erotema. Die Frage als epistemische Gattung im Kontext der französischen Sozietätsbewegung des 17. und frühen 18. Jahrhunderts“ (Leitung: Prof. Dr. Anita Traninger), 08.02.2019

22.03.2019

Chrysoloras_Erotemata

Chrysoloras_Erotemata
Bildquelle: Marcus Valerius Martialis, Epigrammaton Libri XIIII, Venedig 1552.

Bericht von Isabelle Fellner

Der vom Teilprojekt A07 organisierte Studientag widmete sich den epistemischen Mischformen zwischen der rhetorisch-dialektischen Tradition einerseits und den empirischen Methoden der Naturbeobachtung andererseits, welche die frühneuzeitliche Gelehrtenrepublik seit dem 17. Jahrhundert zunehmend prägten. Ziel war es, die einschlägigen epistemischen Aushandlungsdiskurse über die in der neueren Forschung etablierten Begrifflichkeiten von „gelehrtem Empirismus“ oder „Rhetorik der Fakten“ hinaus genauer auszuloten. Im Hinblick auf die einschlägigen Wissenshybriden, die im Zentrum der Forschungen des Teilprojekts stehen, wurden dabei vor allem auch die spezifischen Medien dieses Wissenstransfers in den Blick genommen sowie der analytische Mehrwert des Begriffs der „epistemischen Gattung“ geprüft. Außerdem wurde der Frage nachgegangen, ob – und wenn ja, welche – Ausdifferenzierungen zwischen der Textgelehrsamkeit einerseits und der Naturbeobachtung andererseits im Laufe des 18. Jahrhunderts greifbar werden, insbesondere mit Blick auf die Debatte um die Ausbildung einer „république des sciences“ innerhalb der „république des lettres“. 

Fabian Krämer (LMU München / Netherlands Institute for Advanced Study) widmete sich der Verbindung von Empirie und Textwissen, wie sie sich in zwei frühen Unternehmungen der Academia Naturae Curiosorum zeigt. Er stellte die von den curiosi angefertigte Enzyklopädie der Heilmittel deren wissenschaftlicher Zeitschrift Miscellanea Curiosa gegenüber, die beide in den ersten fünfzig Jahren der Akademie entstanden. Sowohl die Enzyklopädie als auch die Zeitschrift stellen Wissenssammlungen auf Papier dar. Erstere bediente sich – dem Urteil zeitgenössischer Gelehrter nach – jedoch stark tradierter Methoden, da sie kompilatorischen Charakter hatte und vor allem eine Zusammenschau von Autoritätenmeinungen darstellte. Die Verfasser der einzelnen Beiträge traten somit nicht als individuelle Autorensondern eher als collectores auf. Eigene Beobachtungen spielten dabei keine Rolle. Die Zeitschrift hingegen traf mit ihrer Hinwendung zu observationes und somit zu tatsächlichem Beobachtungswissen durchaus den gelehrten Trend der Zeit. 

Isabelle Fellner (SFB 980 / A07) widmete sich der Problematik „quand la raison répugne à l’expérience“ in den medizinischen Conférences (1633-1642) von Théophraste Renaudot. Wie gingen die conférenciers damit um, wenn Verstand und Erfahrung sich zu widersprechen schienen? Es stellt sich heraus, dass expérience in den medizinischen Conférences meist nicht auf Beobachtungswissen verweist, sondern sich wie raison auf Autoritätenwissen bezieht. Die conférenciers nahmen keine durchgängige Differenzierung zwischen diesen beiden Wissensformen vor. Das zeigt sich auch an Argumente in Conférences zu anderen Themen, die mit „l’expérience nous fait voir“ eingeleitet werden. Im Gegensatz zu den meisten conférenciers schien Renaudot, selbst Arzt, empirisches Wissen jedoch als eigene Kategorie zu betrachten, was die Analyse seines Werkes La Presence des absens (1642) zeigt, das andere Ärzte zu observationes von medizinischen Fällen auffordert. 

Martin Urmann (SFB 980 / A07) analysierte die Selbstreflexion des Wissens in den rhetorischen Preisfragen der französischen Akademien am Beispiel der Preisfrage der Académie Française von 1755: „En quoi consiste l’Esprit Philosophique?“. Ursprünglich waren die rhetorischen Preisfragen stark in der scholastischen Tradition verhaftet. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden sie zu einem Medium der Wissensreflexion und schließlich gar der Wissenschaftskritik. Die Kür von Rousseaus Antwort auf die Preisfrage der Académie von Dijon, „Le Rétablissement des sciences et des arts a-t-il contribué à épurer les moeurs?“, im Jahr 1750 macht dies nur besonders deutlich. Der Jesuit Guénard diskutiert in seiner preisgekrönten Antwort auf die Frage nach dem esprit philosophique die Problematik der menschlichen faiblesse, die dem Erkenntnisvermögen notwendigerweise Schranken setzt. Die „pensée trop etroite“ des esprit philosophique kann Fragen von Kunst und Geschmack nicht beantworten. Diese verlangen laut Guénard nach einer Pluralität von Erkenntnismethoden und können nur durch eine Rhetorik des Herzens beantwortet werden. 

Die Vorträge dienten als Impulse für einen Nachmittag voll reger Diskussionen, an denen sich besonders viele Doktorand*innen und Postdocs beteiligten. Neben Teilnehmer*innen aus dem SFB 980 „Episteme in Bewegung“ wurde der Studientag auch von Mitgliedern aus anderen Forschungsverbünden besucht, etwa aus der DFG-Forschungsgruppe FOR 2305 „Diskursivierung von Neuem“.