Forschungsverbundübergreifende Tagung unter Beteiligung des Sonderforschungsbereichs 980 "Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit"
Stereotyp (griech. στερεός stereós = fest und haltbar und τύπος týpos = Form oder Muster)
Wie mühsam wäre es, einen Stuhl nicht immer rasch als Stuhl erkennen zu können, sondern Beschaffenheit, Form und Verwendungszweck stets von Neuem ergründen zu müssen, bevor wir uns getrost niederlassen können? Kategorien und Stereotype helfen uns, Situationen schnell zu erfassen sowie Sinnesreize, Objektwahrnehmungen und Informationen einzuordnen und zu prozessieren, sodass wir in einem „angemessenen“ Zeitraum reaktions- und interaktionsfähig sind. Stereotype sind erkenntnistheoretisch und entsprechend ihren etymologischen Wurzeln als feste Formen oder Muster verstandene Konventionalisierungen, spezifische Kategorien der Urteilsfindung und der Wissensakkumulation, die als Orientierungshilfen fungieren und helfen, auf vorhandenes Wissen zurückzugreifen und so den lebensweltlichen Alltag zu bewältigen.
Stereotype sind als Formen der Mustererkennung also äußerst hilfreich, sie sind jedoch keineswegs unschuldig. Nicht nur unser Alltag ist dominiert von unterschwellig mitgeführten Stereotypen in Form von sozialen Rollenvorstellungen, auch die wissenschaftlichen Diskurse sind geprägt von vermeintlich gemeingültigen Grundannahmen, Kanonbildungen und Interpretationsmustern. Stereotype sind – wie der Journalist und Medienkritiker Walter Lippmann schon im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts konstatierte – nicht „reine“ Syntheseleistung oder objektives Erkennungsmuster für den Charakter oder das Wesen eines Objektes oder gar einer Person. Vielmehr sind sie modelliert, in hohem Maße beeinflussbar und stets in ein Wertungsverhalten eingebunden. Sie spiegeln kollektive und individuelle Erfahrungen, soziale Prägungen, politische Positionen, transportieren Erwartungen – kurz, Stereotype sind weit davon entfernt, als objektive kognitive Formeln Anspruch auf Verbindlichkeit und Korrektheit erheben zu dürfen. Als Wissenskategorien und Erwartungshaltungen wirken sie latent, d.h. sie werden meist unreflektiert „mitgeführt“, was sie als unhinterfragte Kategorien umso wirksamer macht. Sie ziehen systemisch und systematisch Unterscheidungen ein – zwischen Geschlechtern, Alters- und Berufsgruppen, Nationalitäten, kulturellen Verfasstheiten, Traditionen und Verhaltensweisen, Kommunikations- und Vermittlungsweisen und vielem mehr.
Eine forschungsverbundübergreifende Tagung nimmt nun diese Formen der Musterbildung in verschiedenen Lebensbereichen wie Politik, Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft in den Blick. Das Ziel ist es, Stereotype gerade dort aufzuspüren, wo wir sie nicht vermuten würden. Wissenschaftler_innen aus Disziplinen wie den Literatur-, Sprach- und Altertumswissenschaften, Kunst-, Kultur-, Medien- und Geschichtswissenschaften oder auch der Linguistik und Soziologie sind eingeladen, ihre Gegenstände und Themen, Fragestellungen und Methoden auf stereotype Annahmen hin zu befragen und diese für einen selbst vielleicht zunächst überraschenden Funde und Erkenntnisse inter-/transdisziplinär zu diskutieren. Zu diesem spannenden Unterfangen möchten wir Nachwuchswissenschaftler_innen ebenso wie etablierte Kolleg_innen einladen, ihre vielleicht bereits langjährig beforschten Themen auf „Stereotype“ hin abzuklopfen und dadurch noch einmal eine völlig neue Perspektive zu gewinnen.
Um dem latenten Wirken von Stereotypen und ihren Darstellungs- und Verbreitungsformen in der Forschung auf die Spur zu kommen fokussiert die Tagung auf zwei eng verzahnte „Sondierungsbereiche“:
1) Wissen(schaft)shistorische Methoden: Wo „verstecken“ sich oft wissenschaftshistorisch gewachsene, wirkmächtige Stereotype in der eigenen wissenschaftlichen Arbeitsweise und dem eigenen Untersuchungsgegenstand? Wie kommt man ihnen auf die Schliche?
2) Stereotype (und) Darstellungsformen: Wie entstehen solche Muster und wie finden ihre Übertragungen in Hinblick auf spezifische Darstellungsformen statt? Was (oder wer) befördert diese Transfers, wie lassen sie sich kritisch beschreiben und auswerten? Wie kann man diesen Prozessen strukturell und inhaltlich entgegenwirken?
In allen Bereichen gilt es explizit, tradierte Denkmuster zu hinterfragen und auch dort nach Stereotypen zu suchen, wo man sie nicht vermuten würde – Spot the Stereotype!
Zeit & Ort
06.06.2019 - 07.06.2019
TOPOI Haus Dahlem
Hittorfstraße 18
14195 Berlin
Weitere Informationen
Die Tagung Spot the Stereotype! ist eine gemeinsame Initiative von sieben institutionsübergreifenden Forschungsverbünden. Beteiligt sind das Berliner Antike-Kolleg mit der Berlin Graduate School of Ancient Studies und der Exzellenzcluster „Topoi. The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations“, die Forschungsgruppe „Diskursivierungen von Neuem. Tradition und Novation in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit", die Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien, der Sonderforschungsbereich „Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit“, die Kolleg-Forschergruppe „BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik“ sowie der Exzellenzcluster „Temporal Communities. Doing Literature in a Global Perspective“.
Konzeption und Organisation: Regina Attula-Ruetz, Helen Dawson, Sabine Greiner, Kristiane Hasselmann, Christin Keller, Rebecca Mak, Henrike Simon, Hauke Ziemssen
Sie finden den offenen Call for Papers unten als Download bereitgestellt. Die Einsendefrist für Proposals ist leider bereits verstrichen. Tragen Sie sich in unsere Mailingliste ein, um weiterhin Informationen über die Veranstaltung zu erhalten: https://lists.fu-berlin.de/listinfo/spot-the-stereotype
Kontakt: stereotypes@fu-berlin.de