4. Jahrestagung des Sonderforschungsbereichs 980 „Episteme in Bewegung“, konzipiert und organisiert von der Konzeptgruppe II „Zeit und Geschichtlichkeit“ (Leitung: Prof. Dr. Andrew James Johnston / Prof. Dr. Wilhelm Schmidt-Biggemann)
Der Begriff der Spur begegnet uns nicht nur in der Alltagssprache, sondern auch in den Geisteswissenschaften in nachgerade verwirrender Vielfalt: Von Walter Benjamin bis Jacques Derrida haben die unterschiedlichsten Theorien und Strömungen den Begriff der Spur mit jeweils spezifischer Bedeutung aufgeladen. Spuren haben Bedeutung, weil sie die unausweichliche Relationalität von Präsenz und Absenz geradezu verkörpern und ihr zugleich eine zeitliche Struktur einzuschreiben scheinen: Dasjenige, was die Spur verursacht hat, scheint auf den ersten Blick immer schon fort zu sein. Zugleich bedarf die Spur immer der Interpretation, wobei das Verhältnis der Spur zu dem Sachverhalt, auf den sie verweist oder zu verweisen scheint, nie eindeutig ist, sondern immer mehrere Lesarten zulässt. So führt der Akt der Spurenlese zwangsläufig dazu, dass neue Spuren hinterlassen werden, dass Wissen transferiert und verändert wird und dementsprechend neues Wissen entsteht. Insofern ist auch die Rückwärtsgewandtheit der Spur keinesfalls eindeutig: Einerseits verweist sie zwar auf die Vergangenheit, doch andererseits stellt sie einen Kontext her, der zu zukünftigem Handeln motiviert. Insbesondere wenn die Spur auf einen Ursprung verweist, vermag sie oft ein Begehren nach der Rückkehr zu eben diesem Ursprung zu wecken. Doch muss diese scheinbare Rückkehr stets in die Zukunft führen. Zudem macht die Spur in ihrer Verbindung von Zeitlichkeit und Materialität auf ihren Träger aufmerksam: Ohne Medium kann keine Spur existieren, weswegen die spezifische Gestalt einer jeden Spur nur im Dialog mit der Oberfläche oder dem Körper entstehen kann, auf der oder in dem sie sich befindet.
In seiner Jahrestagung 2016 lädt der SFB 980 Episteme in Bewegung dazu ein, diesem Verhältnis von Materialität und Zeitlichkeit in der Spur neue Dimensionen abzugewinnen. Es soll nicht bloß darum gehen, den vielfältigen kulturellen Konnotationen der Spurmetapher nachzuspüren, sondern vielmehr soll das reflexive Potenzial dieser Trope vor allem im Hinblick auf die Dialektik von Materialität und Zeitlichkeit, von physischer Präsenz und Geschichte, die jeder Spur inhärent ist, untersucht werden.
******* Für englischsprachige Tagungsbesucher wird bei deutschsprachigen Vorträgen eine Simultanübersetzung angeboten. ******
Programm
Mittwoch, 29.06.201614.00 Registrierung
14.30 Begrüßung und Einführung
Gyburg Uhlmann, Sprecherin des Sonderforschungsbereichs
Andrew James Johnston/Wilhelm Schmidt-Biggemann, Leiter der Konzeptgruppe "Zeit und Geschichtlichkeit"
Moderation: Andrew James Johnston
15.00 Caroline Walker Bynum, Institute for Advanced Study, Princeton:
"The Need for Materiality: Christ’s Footprints and Other Absences That Act"
16.00 Ananya Jahanara Kabir, King’s College London:
"Mojo and Mandinga: The Trace of ‘Africa’ as Episteme in Motion"
17.00 Kaffeepause
Moderation: Anne Eusterschulte
17.30 Friedrich Vollhardt, LMU München:
"Spuren in der Natur. Zur Signaturenlehre nach der Aufklärung (mit einem Exkurs zu Carlo Ginzburg)"
18.30 Wilhelm Schmidt-Biggemann, Freie Universität Berlin:
"Heidegger, Derrida und die signatura rerum"
19.30 Empfang
Moderation: Tilo Renz
09.30 Ludger Lieb, Universität Heidelberg:
"Der Spur folgen! Die Jagd, die Liebe und die materialen Spuren des Textes im Mittelalter"
10.30 Claudia Reufer, Freie Universität Berlin:
"Die Geste der Hand. Oberfläche und Werkprozess in den Zeichnungsbüchern Jacopo Bellinis"
11.30 Kaffee
Moderation: Beate Ulrike La Sala
12.00 Georges Tamer, FAU Erlangen-Nürnberg:
"Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit im Koran"
13.00 Mittag
Moderation: Nora Katharina Schmid
14.30 Nora Schmidt, Freie Universität Berlin:
"Spuren verwischen: Israelitisches Gedächtnis im medinischen Koran und der Prophet als Medium der Übertragung"
15.30 Kathleen Biddick, Temple University:
"Freud and Mehmed II at Troy: Tracing Trauma"
Freitag, 01.07.2016
Moderation: Jan-Peer Hartmann
09.30 Richard Utz, Georgia Institute of Technology:
"Tracing Residual Medievalisms"
10.30 Andrew James Johnston, Freie Universität Berlin:
"‘The Footprints of the Foe’: Tracks and Traces in Beowulf"
11.30 Kaffee
Moderation: Anita Traninger
12.00 Gyburg Uhlmann, Freie Universität Berlin:
"Traces of Plato – On late Antique Commentators on Aristotle and Their Hermeneutics"
13.00 Mittag
14.30 Edward Watts, University of California San Diego:
"The Return of Happy Times. The Story of an Iconic Coin and a Career-Defining Panegyric"
15.30 Abschlussdiskussion
Der Besuch der Tagung ist kostenfrei. Eine Anmeldung ist erforderlich: info@sfb-episteme.de
Zeit & Ort
29.06.2016 - 01.07.2016
Harnack-Haus, Tagungsstätte der Max-Planck-Gesellschaft
Ihnestr. 16-20, 14195 Berlin-Dahlem