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Geschichte in Anekdoten – Wissenstransfer in Suetons Kaiserviten

Gemeinsamer Workshop mit dem Teilprojekt C03 „Zeitformen. Raumformen. Strategien der Verhandlung von Materialität und Präsenz der Schrift in der augusteischen Literatur“ des Heidelberger SFB 933 „Materiale Textkulturen“, 23.–24.06.2017

06.11.2018

Workshopposter

Workshopposter

Bericht von Sophie Buddenhagen
 

Die Kaiserviten Suetons bieten in ihrer informativen wie narrativen Dichte denkbar geeignetes Material für einen heuristischen Zugriff auf die Interferenz von Anekdote und Episteme. So galt es, in ausgewählten Lektüren die Konzeptualisierungen und Kontextualisierungen von Anekdoten auszuloten und auf ihre epistemischen wie epistemologischen Potentiale zu befragen. Die spezifisch biographische Vorgehensweise Suetons versprach besondere Aufschlüsse über die in die Wissensanekdoten implementierten Geltungsansprüche. Wir wollten uns daher in diesem Rahmen ein generisches Gerüst der Anekdote in Suetons Viten erarbeiten und für die verschiedenen Wissensbegrifflichkeiten fruchtbar machen.

In der Einführung durch die Leiterin des latinistischen Teilprojekts B07, Melanie Möller (FU Berlin), und ihre beiden MitarbeiterInnen, Matthias Grandl und Sophie Buddenhagen, stand die Annäherung an die Anekdote als Bauform des Erzählens und Medium des Wissenstransfers im Zentrum. Dabei galt es zu beleuchten, wie sich die Anekdote im Spannungsfeld von Medium und Material verortet und welches kreative Potential dabei auch durch Lücken entstehen kann. 

Prof. Dr. Jürgen Paul Schwindt (Heidelberg) präsentierte in seinem anschließenden Vortrag seine Überlegungen zu Was weiß die Anekdote – und wie? Grundlinien einer Theorie der Lücke (nach Sueton). Darin fragte er danach, welche Lücken im Text entstünden und wer diese auffülle, um zu dem Schluss zu kommen, dass Anekdoten ein Zeichen für das jeweils Ausgelassene seien. Schwindt definierte den Wissenstransfer durch Anekdoten als Wechselwirkung mit der Verweigerung von Wissensvermittlung. Durch Anekdoten ergebe sich eine augenblickliche Evidenz der Wahrheit, eine Strategie zur Charakterisierung der Ausnahme. Die Diagnose der Lücke erfolge im strukturellen Mangel; im Rahmen philologischer Erkenntnis sah Schwindt die Anekdote als Versuchsanordnung. Er hob hervor, dass diese Erkenntnis nicht verallgemeinerbar sei, nicht das Allgemeine, sondern das Besondere, die Ausnahme im Zentrum stünde. Damit sonderte er auch das exemplum von der Anekdote ab, da es um die mise-en-abyme-Technik, den Moment der Herausnahme und des spezifisch Prekären gehe, der im Gegensatz zum exemplum nicht für den moralischen Unterricht zu gebrauchen sei. Abschließend fokussierte Schwindt die Nähe von Anekdoten und Gesten: Er sieht acta als gesta memoriert und das Handeln der Figuren in Form von Anekdoten in diese Gesten eingefasst.

Nachfolgend fragte Maximilian Haas (Heidelberg) welchen Einfluss das Lachen als Effekt von Anekdoten auf das in ihnen vermittelte Wissen hat: Jupiters cachinnus. Zu den Pointen suetonischer Prosa. Anekdoten würden durch ihre plötzliche Wendung die Aufmerksamkeit des Hörers resp. Lesers erregen und seien dadurch am besten geeignet, Witze darzustellen. Das Vertauschen von Grund und Anlass des Lachens verstärke den Moment des Witzigen in den Kaiserviten zusätzlich. Haas fragte weiterhin nach Anlass und Folge, Ursache und Wirkung, Aufwand und Ertrag der Anekdoten und kam zu dem Schluss, dass Anekdoten einen referierten autobiographischen Akt darstellen. In Traum und Witz des Kaisers offenbare sich die Struktur des Selbstbildes; das affektive Potential der Anekdote sei in der Pointe, im Lachen des Kaisers freigesetzt. Den Unterschied zwischen cachinnus und risus machte Haas vor allem in der Vita Caligulas deutlich und wies die Anekdote, als Medium des Witzes, als Form der iacta bzw. disiecta membra aus. Abschließend stellte sich Haas der Frage, ob ein Vorwissen nötig sei, um Anekdoten zu verstehen, und ob Pointen konstitutiv für Anekdoten seien, was nur eingeschränkt Geltung beanspruchen kann.  

Unter dem Titel Überwältigende Trouvaillen des Wissens – Zum Verhältnis von Struktur und Affekt in anekdotischen Figuren schloss Prof. Dr. Alexander Arweiler (Münster) seinen Vortrag an. Arweiler fragte nach dem Kontext von Anekdoten im Vergleich zu exempla und, ob erstere noch nicht oder gar nicht dazu geeignet seien, exempla zu werden. Dazu rückte der Referent das Verhältnis zwischen dem Kleinen und Großen in Anekdoten, ebenso wie deren Elemente in den Fokus. Arweiler differenzierte philosophische Anekdoten von den in Suetons Kaiserviten präsentierten, vor allem im Hinblick auf den Aspekt der Nachdenklichkeit im Sinne Hans Blumenbergs. Ob der Moment des Erkennens epistemisch relevant sei, stand ebenso auf seiner Agenda wie der Antagonismus zwischen Struktur und ungezähmtem Effekt der Anekdote. Abschließend hob er hervor, dass eine Anekdotensammlung durch strukturelle Lesepausen das durchgängige Lesen unmöglich mache und sich die narrative Struktur in Momentaufnahmen des Charakters auflöse. 

Daran schloss Sophie Buddenhagen (Berlin) ihre Beobachtungen bezüglich der Darstellung des Todes in den Viten des Augustus, Caligulas und Neros an: Das Beste kommt zum Schluss. Charakterisierende Anekdoten in Suetons Todesdarstellungen. Sie stellte einen Zusammenhang zwischen dem Umfang des mittels Anekdoten geschilderten Todes und der Länge der Gesamtvita heraus; je schlechter die Regierungskompetenz eines Kaisers, desto umfangreicher war die Beschreibung seines zumeist nicht ruhmvollen Todes im Verhältnis zur Gesamtlänge der Vita. Im Anschluss an die exzeptionelle Position des Todes früherer Anekdotentheorie (Nietzsche u.a.) hielt Buddenhagen fest, dass die Charakterisierung des Kaisers in der Darstellung des Todes pointiert ihren Höhepunkt finde: Im Prozess des Sterbens, ebenso wie durch die Umstände des Todes gibt der Text eine Skizze der Persönlichkeit des Kaisers und seiner Regierungsfähigkeiten. 

Matthias Grandl (Berlin) widmete sich in seinem Vortrag Nicht auf den Mund gefallen – Cäsars Rhetorik zwischen Schlagfertigkeit und Sprachlosigkeit in Suetons apophthegmatischen Anekdoten der brüchigen Rhetorik Caesars. Am Anfang stellte er heraus, dass der Realitätseffekt durch die Verschmelzung von Text und gesprochenem Wort entstehe und sich darin die Gemachtheit der Anekdote offenbare. Über das Konzept von Witz und Schlagfertigkeit kam er zu der Feststellung, dass die Pointe von der natura abhängig sei, da sie durch größtmögliche Spontaneität besser funktioniere. Genau die Pointe sei es, die Caesar teilweise entzogen werde: sine voce meint nicht ohne Stimme, denn die sei noch für Seufzer nötig, sondern ohne Wort. Diese mit Nietzsches Auffassung kompatible brüchige Rhetorik finde sich im Austausch von dictum und factum wieder, der Text nehme ein dictum (sine voce) und setze dafür ein factum (gemere). Unter diesem Aspekt scheint es lohnend, weiterführend zu analysieren, welchen Kaisern ein Schlusswort zugestanden wird, wann sie verstummen und warum. 

Abschließend trug Chiara Cavazzani (Heidelberg) unter dem Titel Caligula und seine Zeit. Eine pathografische Skizze ihre Überlegungen zu den Diskontinuitäten in Inhalt und Form der Caligulavita vor. Ausgangspunkt ihrer These war die Schilderung der im diskontinuierlichen Stil gespiegelten Epilepsie Caligulas. Die Beschreibungen des Körpers schlügen in eine Pathographie um, der Zusammenhang von vitium und vita werde im Text fokussiert. Für die Anekdote konstatierte sie eine vermeintliche Objektivität, die sich auf die fehlende Wertung, den nicht vorhandenen Kommentar, gründe, betonte aber gleichzeitig den schon durch die Platzierung im Narrativ bewirkten Effekt.

In der Abschlussdiskussion wurden das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Kontextualisierung der Anekdote ebenso wie definitorische Aspekte und Fragen nach der Zeitlichkeit von Anekdoten in den Blick genommen. Dabei rückte die Rolle der Selbstreferentialität von Anekdoten ebenfalls in den Fokus des Gesprächs, vor allem als die ReferentInnen sich über deren epistemischen Gehalt austauschten.